Entscheidungsstichwort (Thema)
Speedy-Tandem. Hilfsmittel. Mobilität. Integration
Leitsatz (redaktionell)
Ein behindertes Kind kann auch dann einen Anspruch auf Versorgung mit einem so genannten Speedy-Tandem haben, wenn die Integration in den Kreis anderer Kinder und Jugendlicher durch dieses Hilfsmittel nur in einem äußerst geringen Maße gefördert wird.
Normenkette
SGB V § 33 Abs. 1 S. 1, § 13 Abs. 3; SGB IX §§ 15, 31 Abs. 1 Nr. 3; SGB I § 2 Abs. 2
Verfahrensgang
SG Detmold (Urteil vom 29.04.2003; Aktenzeichen S 11 KR 138/01) |
Nachgehend
BSG (Aktenzeichen B 3 KR 8/05) |
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 29. April 2003 geändert. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 03. April 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. August 2001 verurteilt, den Eltern der Klägerin 2.449,99 Euro zu erstatten. Die Beklagte hat der Klägerin 9/10 der außergerichtlichen Kosten in beiden Rechtszügen zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Erstattung der Kosten einer Rollstuhl-Fahrradkombination (Speedy-Tandem).
Die am 00.00.1992 geborene und bei der beklagten Krankenkasse familienversicherte Klägerin leidet infolge eines frühkindlichen Hirnschadens an einer erheblichen geistigen Behinderung mit Steh- und Gehunfähigkeit bei Paraspastik der Beine und generalisierter Muskelatrophie, Harn- und Stuhlinkontinenz sowie an Blindheit grenzender Einschränkung des Sehvermögens. Sie ist u.a. mit einem Rehabuggy, einem Rollstuhl und einem Autokindersitz mit Rückhaltesystem versorgt und bezieht Leistungen der gesetzlichen Pflegeversicherung nach Pflegestufe III. Die Klägerin lebt mit ihren Eltern und einer heute 16-jährigen Schwester in einem Haushalt. Sie beantragte im Januar 2001 gestützt auf eine Verordnung des behandelnden Kinderarztes Dr. Q… vom 20.12.2000 sowie einen Kostenvoranschlag der Firma Speedy Reha-Technik GmbH vom 09.01.2001, die Kostenübernahme für ein Speedy-Tandem. Dieses besteht aus einem speziell ausgerüsteten Fahrrad, an welches mittels einer über eine Stange geführten Kupplung der Rollstuhl angekoppelt wird. Dr. Q… bescheinigte auf Anfrage der Beklagten, dass die Klägerin aufgrund ihrer Behinderung schwerst eingeschränkt, aber durchaus in der Lage sei, zu kommunizieren und in Interaktionen mit ihrer Umwelt zu treten; zur Verbesserung der Teilnahme am gesellschaftlichen Leben und des Umgangs mit anderen Kindern solle das Speedy-Tandem dienen. Dr. Q1 vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) empfahl gleichwohl eine entsprechende Versorgung nicht, weil das Speedy-Tandem nicht dem Ausgleich einer Behinderung, sondern der Teilnahme am gesellschaftlichen Leben diene, die durch den Rollstuhl bereits hergestellt sei. Mit Bescheid vom 03.04.2001 lehnte die Beklagte daraufhin den Antrag ab.
Die Klägerin legte am 18.04.2001 Widerspruch ein und machte geltend, das Speedy-Tandem werde im Hilfsmittelkatalog geführt. Der Aufbau und die Pflege des sozialen Kontakts zu anderen Kindern und Jugendlichen sei ein Grundbedürfnis. Ohne das Speedy-Tandem könnten notwendige Wegstrecken zum Besuch der Freunde und Spielkameraden, zu Zwecken des Reisens, des Behindertenschwimmens, zum Aufsuchen der Ärzte, der Apotheker sowie der Großeltern nicht bewältigt werden. Nachdem Dr. Q1 in einer weiteren Stellungnahme vom 04.05.2001 bei seiner Auffassung verblieben war, wies die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 14.08.2001 als unbegründet zurück.
Die Klägerin hat am 06.09.2001 vor dem Sozialgericht (SG) Detmold Klage erhoben. Sie hat geltend gemacht, mittels des Speedy-Tandems werde sie mit Hilfe ihrer Eltern und ihrer Schwester in die Lage versetzt, ihren Aktionsradius zu vergrößern und sich ein gewisses Umfeld zu erschließen. Gerade zusammen mit ihrer Schwester werde sie in die Lage versetzt, Kontakt zu gleichaltrigen Kindern aufzunehmen. Dass es ihr an der insoweit erforderlichen Interaktionsfähigkeit nicht fehle, werde auch durch die Teilnahme an einer Autismustherapie belegt. Zur Stützung ihres Vorbringens hat sie eine Bescheinigung des Leitenden Arztes des Kinderzentrums C… in C…, Dr. C…, vorgelegt, wonach sich die autistischen Züge der Klägerin im Verlauf der letzten Jahre abgeschwächt hätten und sie sehr positiv auf Unternehmen im familiären Rahmen reagiere, so dass die Versorgung mit einem Therapietandem zur Erweiterung ihres Aktionsradius und Verbesserung ihrer sozialen Teilhabe eindeutig zu befürworten sei. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Bescheinigung vom 26.08.2002 verwiesen.
Im März 2003 haben die Eltern der Klägerin ein Vorführmodell des Speedy-Tandems der Firma Speedy Reha GmbH zum Preis von 2.699,99 Euro gekauft. Mit Urteil vom 29.04.2003 hat das SG die Klage abgewiesen. Auf die Entscheidungsgründe wird Bezug genommen.
Gegen das ihr am 02.06.2003 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 01.07.2003 Berufung eingelegt. Sie macht geltend, es werde für ihre Mutter immer schwieriger, sie im...