Entscheidungsstichwort (Thema)

Zuordnung des vom im Haushalt der Eltern lebenden volljährigen Kindes beziehenden Kindergeldes beim Einkommensbegriff

 

Orientierungssatz

1. Kindergeld ist grundsätzlich eine Einnahme desjenigen, an den es ausgezahlt wird. Ob Kindergeld für volljährige, im Haushalt der Eltern lebende Kinder nach dem SGB 12 als Einkommen der Eltern oder der Kinder zu qualifizieren ist, ist höchstrichterlich ungeklärt.

2. Für im Haushalt lebende Kinder ist Kindergeld jedenfalls dann als deren Einkommen und nicht als solches der Eltern zu qualifizieren, wenn das Kindergeld dem volljährigen Kind zeitnah zugewandt oder durch die Familienkasse unmittelbar an das volljährige Kind ausgezahlt wird und ohne die Weiterleitung bzw. unmittelbare Auszahlung die Voraussetzungen des § 74 EStG vorliegen würden.

3. Nach § 74 Abs. 1 S. 1 EStG kann das für ein Kind festgesetzte Kindergeld nach § 66 Abs. 1 EStG an das Kind ausgezahlt werden, wenn der Kindergeldberechtigte dem Kind gegenüber seiner gesetzlichen Unterhaltspflicht nicht nachkommt.

 

Tenor

Das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 19.11.2007 wird geändert. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin unter Änderung des Bescheides vom 03.08.2006 in der Fassung des Bescheides vom 23.08.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.02.2007 weitere Grundsicherungsleistungen in Höhe von 154,00 EUR monatlich im Zeitraum vom 01.05.2006 bis zum 30.04.2007 zu gewähren. Kosten sind der Klägerin in beiden Rechtszügen zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Höhe des der Klägerin zustehenden Anspruchs auf Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsfähigkeit nach dem Vierten Kapitel des Sozialgesetzbuchs Zwölftes Buch - Sozialhilfe (SGB XII).

Die 1947 geborene Klägerin lebte im streitigen Zeitraum mit ihrem 1985 geborenen Sohn K in einem Haushalt. Dieser absolvierte im gesamten streitigen Zeitraum und bis Juni 2007 eine Ausbildung. Seine Ausbildungsvergütung betrug zunächst 475,65 EUR, ab August 2006 529,20 EUR und schließlich ab Januar 2007 532,90 EUR netto monatlich, wobei von den genannten Beträgen lediglich ein um 40 EUR geminderter Betrag (vermögenswirksame Leistungen) zur Auszahlung gelangte. Zunächst überwies die Klägerin das ihr von der zuständigen Familienkasse ausbezahlte Kindergeld in Höhe von 154,00 EUR ihrem Sohn per Dauerauftrag. Im Einvernehmen mit der Klägerin beantragte der Sohn sodann bei der Familienkasse die Überweisung des Kindergeldes unmittelbar auf sein Konto. Ausweislich eines an die Klägerin gerichteten Schreibens der Familienkasse vom 27.09.2006 wurde das Kindergeld ab September 2006 auf das Konto ihres Sohnes K gezahlt. Einem von der Klägerin vorgelegten Kontoauszug des Girokontos ihres Sohnes vom 05.09.2006 lässt sich eine entsprechende erstmalige Überweisung entnehmen.

Die Klägerin stand zunächst im Bezug von Leistungen nach dem Dritten Kapitel des SGB XII. Die Beklagte rechnete während des Bezuges der Hilfe zum Lebensunterhalt das Kindergeld nicht als Einkommen an. Im Mai 2006 gelangte der Ärztliche Dienst des Kreises Q nach Untersuchung der Klägerin zu der Erkenntnis, dass die Klägerin aufgrund diverser Erkrankungen auf Dauer erwerbsunfähig sei. Mit Bescheid vom 03.08.2006 bewilligte die Beklagte der Klägerin auf deren Antrag hin Leistungen nach dem Vierten Kapitel des SGB XII für den Zeitraum vom 01.05.2006 bis 30.04.2007. Unter Anrechnung des für den Sohn gezahlten Kindergeldes errechnete sie einen Leistungsbetrag von monatlich 372,00 EUR. Hierbei ging sie von Regelsatzleistungen der Klägerin von 345,00 EUR aus. Als Kosten der Unterkunft und Heizung berücksichtigte sie einen Betrag von 181,00 EUR. Von dem sich ergebenden Gesamtbedarf setzte sie als Einkommen das monatlich ausgezahlte Kindergeld von 154,00 EUR ab.

Mit Widerspruch vom 23.08.2006 wandte sich die Klägerin gegen die Höhe der ihr gewährten Leistungen. Sie führte aus, der jetzige Betrag an Grundsicherung decke kaum die Mietkosten ab. Es sei zu berücksichtigen, dass das an die Klägerin gezahlte Kindergeld "von ihr per Dauerauftrag bzw. direkt an den Sohn weitergeleitet worden" sei. Nunmehr habe der Sohn die Zahlung des Kindergeldes an sich selbst bei der Familienkasse beantragt.

Mit Schriftsatz vom 30.08.2006 wies die Beklagte darauf hin, dass das Kindergeld nur dann Einkommen des Kindes sei, wenn es zur Deckung seines Lebensunterhalts benötigt werde. Dies sei vorliegend nicht der Fall, da das Nettoeinkommen des Sohnes K 475,65 EUR monatlich betrage. In Erwiderung auf dieses Schreiben teilte die Klägerin mit, das monatliche Nettoeinkommen des Sohnes reiche zur Bedarfsdeckung nicht aus. Ohne das Kindergeld verbliebe ihm lediglich ein Betrag von 102,50 EUR. Dieser reiche nicht einmal für die Lebensmittel aus. Mit Schreiben vom 11.09.2006 führte die Beklagte aus, dass gemäß § 82 Abs. 1 Satz 2 SGB XII nur dem minderjährigen Kind das Kindergeld als Einkommen zuzurechnen sei. Im Umkehrschluss führe dies im konkreten Hilfefall dazu, dass das ...

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