Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsicherung für Arbeitsuchende. Einkommens- oder Vermögensberücksichtigung. Erbschaft. Zeitpunkt des Erbfalls während des Leistungsbezugs. Zufluss bereiter Mittel aus der Erbschaft nach Unterbrechung des Leistungsbezugs

 

Orientierungssatz

1. Für die Abgrenzung von Einkommen und Vermögen ist bei einem Erbfall entscheidend, ob dieser vor oder nach der ersten Antragstellung des laufenden Leistungsfalls eingetreten ist. Liegt der Erbfall vor der ersten Antragstellung, handelt es sich um Vermögen.

2. Der wertmäßige Zuwachs aus einem Erbfall nach der ersten Antragstellung ist erst dann auf den Bedarf anzurechnen, wenn die Einnahme des Hilfebedürftigen tatsächlich zur Deckung des Bedarfs zur Verfügung steht. Dies ist bei der Gesamtrechtsnachfolge im Rahmen einer Erbschaft regelmäßig erst mit der Auskehrung des Auseinandersetzungsguthabens der Fall. Entscheidend ist insoweit der tatsächliche Zufluss bereiter Mittel.

3. Endet indes aufgrund Beendigung der Hilfebedürftigkeit für mindestens einen Kalendermonat der Leistungsfall zwischen Erbfall und Zufluss bereiter Mittel aus der Erbschaft, ist der Zufluss Vermögen, nicht Einkommen (vgl BSG vom 8.5.2019 - B 14 AS 15/18 R = SozR 4-4200 § 11 Nr 86 RdNr 14 ff mwN sowie vom 25.1.2012 - B 14 AS 101/11 R = SozR 4-4200 § 11 Nr 47 RdNr 19 ff).

 

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 14.10.2022 geändert. Der Bescheid vom 15.04.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.07.2019 wird aufgehoben.

Der Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin in beiden Rechtszügen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Umstritten ist die Berücksichtigung einer Erbschaft als Einkommen im Zeitraum von April bis September 2018.

Die Klägerin, geboren am 00.00.0000, wohnt in Q.. Sie stand jedenfalls ab Januar 2013 bis zum Erreichen der Altersgrenze und dem damit verbundenen Wechsel in das Leistungsregime des SGB XII im Bezug von Leistungen nach dem SGB II. Ab Januar 2013 musste die Klägerin für die von ihr bewohnte Wohnung 255 EUR Kaltmiete, 23 EUR für eine Garage, 87 EUR Betriebskostenvorauszahlungen und 30 EUR Heizkostenvorauszahlungen zahlen. Aufgrund des Weiterbewilligungsantrags vom 15.11.2012 bewilligte der Beklagte der Klägerin mit Bescheid vom 19.11.2012 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 24.11.2012 und 20.12.2012 Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum von Januar bis Juni 2013. Auch im Zeitraum Juli bis Dezember 2013 stand die Klägerin im Leistungsbezug nach dem SGB II. Am 04.03.2013 verstarb die Mutter der Klägerin, deren Erbin die Klägerin zu einem Viertel wurde. Auf den Weiterbewilligungsantrag vom 18.11.2013 hin bewilligte der Beklagte mit Bescheid vom 18.11.2013 Leistungen nach dem SGB II von Januar bis Juni 2014 i.H.v. monatlich (382 EUR Regelleistung + 8,60 EUR Mehrbedarf Warmwasser + 395 EUR Kosten für Unterkunft und Heizung =) 785,60 EUR.

Mit Schreiben vom 28.02.2014 teilte die Klägerin dem Beklagten mit, dass sie kurzfristig ein Arbeitsangebot als Pflegekraft in S. erhalten habe. Der Beklagte forderte die Klägerin auf, Einkommensbescheinigungen einzureichen, und erinnerte sie zweimal daran. Am 06.06.2014 teilte die Klägerin mit, dass sie zum 30.04.2014 wieder entlassen worden sei. Sie übersandte ihren Arbeitsvertrag, ausweislich dessen ein monatlicher Lohn i.H.v. 2.300 EUR vereinbart war. Lohnabrechnungen übersandte die Klägerin nicht. Tatsächlich verdiente sie im Februar 2014 2.300 EUR brutto / 1.515,29 EUR netto, im März 2013 2.637,39 EUR brutto / 1.564,07 EUR netto, im April 2014 2.415,05 EUR brutto / 1.607,95 EUR netto und im Mai 2014 1.188,38 EUR brutto / 805,03 EUR netto. Das Gehalt wurde jeweils zum Monatsende gezahlt. Der Beklagte nahm keine weiteren Ermittlungen vor und erließ keinen Aufhebungs- und Erstattungsbescheid (vgl. Aktenvermerk des Beklagten vom 15.01.2015 in den Verwaltungsakten).

Ab März 2017 entstanden der Klägerin für die von ihr bewohnte Wohnung Kosten i.H.v. monatlich insgesamt 415 EUR (277 EUR Kaltmiete, 23 EUR für einen Garagenstellplatz, 30 EUR Heizkostenvorauszahlungen und 85 EUR Betriebskostenvorauszahlungen). Auf ihren Weiterbewilligungsantrag vom 12.11.2017 bewilligte der Beklagte der Klägerin mit Bescheid vom 15.11.2017 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 25.11.2017 Leistungen von Januar bis Dezember 2018 i.H.v. (416 EUR Regelleistung + 9,57 EUR Mehrbedarf Warmwasser + 415 EUR Kosten der Unterkunft und Heizung =) 840,57 EUR monatlich.

Der Beklagte forderte die Klägerin am 08.10.2018 auf, einen Erbschein vorzulegen und den Zufluss ihres Erbanteils nachzuweisen. Die Klägerin übersandte den Teilerbschein vom 12.03.2014 und einen Kontoauszug, wonach ihrem Konto am 01.03.2018 ein Betrag von 1.889,33 EUR gutgeschrieben wurde. Mit Schreiben vom 26.03.2019 hörte der Beklagte die Klägerin wegen Einkommens aus der Erbschaft i.H.v. 1.889,33 EUR zu einer entstandenen Überzahlung von Grundsicherungsleistungen im Zeitraum April bis September 2018 an...

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