Entscheidungsstichwort (Thema)
Eine ordnungsgemäß protokollierte Klagerücknahme kann nicht durch Anfechtung oder Widerruf beseitigt werden
Orientierungssatz
1. Das Sitzungsprotokoll ist geeignet, über die Abgabe einer Klagerücknahme Beweis zu begründen, wenn die Abgabe einer derartigen Erklärung dem Kläger vorgelesen und von diesem genehmigt worden ist, §§ 122 SGG, 162 Abs. 1 ZPO.
2. Als Prozesshandlung kann sie nicht durch Anfechtung oder Widerruf beseitigt werden. Ein Wiederaufgreifen eines durch Rücknahme der Klage beendeten Rechtstreits ist ausnahmsweise dann möglich, wenn Wiederaufnahmegründe i. S. der §§ 179, 180 SGG vorliegen.
Nachgehend
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Aachen vom 28.06.2019 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens.
Der Streitwert wird für jeden Rechtszug auf 5.579,15 Euro festgesetzt.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
In der Sache wendet sich der Kläger gegen die Vollstreckung aus einem Beitragsbescheid und die Zuständigkeitsfeststellung der Beklagten für den Kläger als Unternehmer. Im Streit steht, ob die von dem Kläger im Ausgangsverfahren vor dem Sozialgericht Aachen (SG) zu S 6 U 164/18 erklärte Klagerücknahme wirksam ist.
Der 1946 geborene Kläger ist ehemaliger Oberstudienrat und Beamter des Landes Nordrhein-Westfalen im Ruhestand. Nach den Feststellungen der Landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft (Rechtsvorgängerin der Beklagten - im Folgenden: Beklagte) vom 03.07.2006 nutzte er 4,2 Hektar Grundlandfläche und züchtete Pferde. Mit bestandskräftigem Bescheid vom 05.07.2006 stellte die Beklagte gegenüber dem Kläger als Unternehmer für Pferdezucht und Pferdehaltung ihre Zuständigkeit fest. Mit Bescheid vom 23.10.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.05.2018 lehnte die Beklagte eine Rücknahme des Zuständigkeitsbescheides vom 05.07.2006 nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) ab. Mit weiterem Bescheid vom 13.03.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.10.2018 forderte die Beklagte den Kläger zur Zahlung des zum 15.01.2018 fälligen Beitrages zuzüglich Mahngebühren und Säumniszuschlägen in Höhe von insgesamt 579,15 Euro auf.
Nachdem die Beklagte einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss des Amtsgerichts N (Az. 0 M 00/18; Drittschuldner: Landesamt für Besoldung und Versorgung NRW) erwirkt hatte, erhob der Kläger am 23.06.2018 bei dem Sozialgericht Aachen (SG) Vollstreckungsabwehrklage nach § 767 Zivilprozessordnung (ZPO), welche unter dem Aktenzeichen S 6 U 164/18 geführt wurde. Er begehrte einerseits das Unterlassen der Zwangsvollstreckung und wandte sich andererseits gegen die Zuständigkeitsfeststellung der Beklagten. In der nichtöffentlichen Sitzung des SG am 29. Mai 2019 hat der Kammervorsitzende den Kläger darauf hingewiesen, dass die Klage keine Aussicht auf Erfolg haben dürfte. Es dürfte eine Zuständigkeit der Beklagten bestehen und der Kläger dürfte versicherungs- und beitragspflichtig sein. Der Kammervorsitzende hat weiter darauf hingewiesen, weil die Unternehmereigenschaft des Klägers im Streit stehe, sei die Sache gerichtskostenpflichtig. Da die Klage aussichtslos sei, würde sich der Streitwert bei einem klageabweisenden Urteil nach dem Streitwert der zugrundeliegenden Forderungen gemessen. Bei einer Klagerücknahme hingegen würde sich der hierzu bemessene Streitwert jedenfalls auf ein Drittel des entsprechenden Satzes reduzieren. Demgemäß dürften sich, so der Kammervorsitzende weiter, die Gerichtskosten erheblich reduzieren, wenn der Kläger die aussichtslose Klage zurücknehme.
Sodann hat der Kläger in der nichtöffentlichen Sitzung des SG am 29. Mai 2019 erklärt:
"Ich nehme die Klage S 6 U 164/18 zurück".
Diese Erklärung wurde vorläufig aufgezeichnet, abgespielt und vom Kläger genehmigt und die Klage alsdann als durch Zurücknahme erledigt ausgetragen.
Am 04.06.2019 hat der Kläger die Klagerücknahme angefochten bzw. widerrufen und erklärt, er sei "vom Vorsitzenden Richter genötigt" worden, die Klage zurückzunehmen. Durch "arglistige Täuschung" habe der Vorsitzende Richter ihn "bedroht", die Kosten des Verfahrens reduzieren zu können auf ein Drittel des Betrages bei sofortiger Klagerücknahme. Eine Mitgliedschaft bei der Beklagten bestehe wegen seiner Sozialversicherungsfreiheit auch nicht. Wegen wahrheitswidriger Gutachten und gefälschter Urkunden müsse in der Sache neu und anders entschieden werden.
Nach ordnungsgemäßer Anhörung der Beteiligten hierzu hat das SG mit Gerichtsbescheid vom 28.06.2019 festgestellt, dass das Klageverfahren S 6 U 164/18 durch Rücknahme der Klage am 29.05.2019 erledigt sei. Zur Begründung hat das SG ausgeführt:
"Das Klageverfahren S 6 U 164/18 ist durch Klagerücknahme im Erörterungstermin am 29.05.2019 erledigt worden. Diese wurde ordnungsgemäß in der Sitzungsniederschrift protokolliert, vorgelesen und genehmigt (§ ...