Entscheidungsstichwort (Thema)

Voraussetzungen des Entschädigungsanspruchs wegen überlanger Verfahrensdauer

 

Orientierungssatz

1. Nach § 198 Abs. 1 S. 1 GVG wird angemessen entschädigt, wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet.

2. Maßgeblich für die Angemessenheit der Verfahrensdauer ist die Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens, sowie das Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter. Die für eine Meinungsbildung des angerufenen Gerichts erforderliche Zeit ist als entschädigungsrelevante Verzögerung nicht zu berücksichtigen.

3. Ein knapp fünf Monate währender rein rechnerischer Stillstand des Verfahrens erweist sich nicht als entschädigungspflichtig.

4. Im Übrigen setzt der Entschädigungsanspruch voraus, dass der Verfahrensbeteiligte bei dem mit der Sache befassten Gericht die Dauer des Verfahrens gerügt hat. Maßgeblich ist insoweit die Einhaltung einer Drei-Monats-Frist.

5. Wird die Rüge zur Unzeit erhoben, so ist der Anspruch nicht begründet und die Klage abzuweisen.

 

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt eine Entschädigung aus Staatshaftungsrecht nach §§ 198 ff. Gerichtsverfassungsgesetz (GVG). Er macht die unangemessene Dauer des Gerichtsverfahrens S 28 SO 537/10 Sozialgericht (SG) Düsseldorf geltend.

In diesem Rechtsstreit hat der Kläger mit seiner am 15.11.2010 beim SG Düsseldorf erhobenen Klage die Erstattung der Kosten für Heizöl in Höhe von 414,06 EUR begehrt.

Nach zweifachem Schriftwechsel der Beteiligten wurde am 16.09.2011 ein Erörterungstermin durchgeführt. Nach erneutem Schriftwechsel der Beteiligten erklärte der Bevollmächtigte des Klägers auf entsprechende Anfrage des SG am 12.01.2012 sein Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung. Mit Schriftsatz vom 04.07.2012 teilte der Bevollmächtigte mit, dass die Ehefrau des Klägers, die zu diesem Zeitpunkt ebenfalls Beteiligte des Verfahrens war, am 00.03.2012 verstorben sei und bat um Sachstandmitteilung. Mit umfangreichem Richterbrief vom 11.07.2012 legte das SG den Beteiligten seine Rechtsauffassung dar und forderte den Beklagten zur Abgabe eines Anerkenntnisses auf. Dem Bevollmächtigten des Klägers teilte es zudem mit, dass ein zeitnaher Verhandlungstermin vorgesehen sei. Außerdem bat es um die Übersendung der Kopie einer Sterbeurkunde und um Mitteilung eines aktuellen Klageantrages. Mit Schreiben vom 20.07.2012 wurde eine Kopie der Sterbeurkunde zu den Gerichtsakten gereicht. Mit Verfügung vom 12.09.2012 wurde die Sache auf den 15.11.2012 zur mündlichen Verhandlung geladen. Am 18.09.2012 stellte der Bevollmächtigte des Klägers einen Verlegungsantrag. Mit Schreiben vom 01.12.2012, eingegangen bei Gericht am 03.12.2012, rügte er die Dauer des Verfahrens. Das SG wies ihn darauf hin, dass er der mit Verfügung vom 11.07.2012 geäußerten Bitte, einen aktuellen Klageantrag zu stellen, nicht nachgekommen sei. Auf die Übersendung des Erbscheins des Amtsgerichts Düsseldorf vom 11.04.2012 erteilte das SG den Hinweis, dass der Anspruch auf Sozialhilfe in der Regel nicht vererblich sei und bat um Mitteilung, ob die Klage für die verstorbene Ehefrau aufrecht erhalten bleibe. Mit Schriftsatz vom 21.01.2013 wurde die Klage insoweit zurückgenommen. Die Beklagte teilte mit Schreiben vom 31.01.2013 mit, dass sie kein Anerkenntnis abgegeben werde, sich jedoch mit einer vergleichsweisen Lösung einverstanden erklären könne. Mit Verfügung vom 18.02.2013 wurde die Streitsache zur mündlichen Verhandlung am 07.03.2013 geladen. Das Verfahren endete im Termin durch ein klageabweisendes Urteil. Rechtsmittel wurden nicht eingelegt.

Am 06.06.2013 hat der Kläger die Entschädigungsklage erhoben. Er begehrt eine Entschädigung in Höhe von 5.600,00 EUR für die Gerichtsverfahren S 28 SO 537/10, S 28 538/10, S 28 SO 224/11 und S 28 SO 225/11. Da es in den Verfahren ausschließlich um die Entscheidung von Rechtsfragen gegangen sei, hätte das SG bereits nach dem Scheitern der gütlichen Einigung im Erörterungstermin um das Einverständnis zur Entscheidung ohne mündliche Verhandlung bitten können. Alternativ hätte unverzüglich nach dem ergebnislosen Erörterungstermin Termin zur mündlichen Verhandlung angesetzt werden müssen. Die mündliche Verhandlung mit einem Abschluss aller vier Verfahren hätte also noch im Jahr 2011 erfolgen können, da ein dreimonatiger Vorlauf für die Anberaumung eines Verhandlungstermins angemessen sein dürfe. Deswegen begehre er eine Entschädigung für 14 Monate der Verzögerung jedes der Verfahren, und zwar von Januar 2012 bis Februar 2013. Weil es sich um Verfahren gehandelt habe, bei denen Leistungen der Grundsicherung nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch im Streit standen, wöge die Verzögerung entsprechend schwer. Er sei 1935 geboren und schwer krank. Die Gerichtsverfahren belasteten ihn aufgrund seines Alters und seiner Gesundheit stark. Wären die Verfahren ohne Verzögerung...

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