Entscheidungsstichwort (Thema)

Antragsrecht des Klägers, einen bestimmten Arzt gutachtlich zu hören

 

Orientierungssatz

1. Die Einholung eines Gutachtens nach § 109 SGG kann u. a. abgelehnt werden, wenn der Antrag aus grober Nachlässigkeit nicht früher vorgebracht worden ist.

2. Eine verspätete Antragstellung aus grober Nachlässigkeit liegt dann vor, wenn jede zur sorgfältigen Prozessführung erforderliche Sorgfalt außer Acht gelassen worden ist. Hat das Gericht für die Einzahlung des Kostenvorschusses eine Frist von nur 4 Wochen gesetzt, so rechtfertigt ein Überschreiten um 2 Wochen keine Einschränkung des Antragsrechts. Dies gilt erst recht dann, wenn der Rechtsstreit bis zur Entscheidung 4 Monate ohne jede weitere Bearbeitung geblieben ist.

3. Die rechtsfehlerhafte Ablehnung eines Beweisantrags nach § 109 SGG stellt einen wesentlichen Verfahrensfehler i. S. des § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG dar und kann zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Sozialgericht führen.

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 04.07.2008 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen. Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens einschließlich derjenigen des Berufungsverfahrens bleibt dem Sozialgericht vorbehalten. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Weitergewährung von Erwerbsminderungsrente.

Der am 00.00.1965 in der Türkei geborene Kläger war ab 1982 in Deutschland im Bergbau tätig, zuletzt als Aufsichtshauer. Zum 31.12.2002 kehrte er ab und ist seitdem arbeitslos. In der Zeit vom 01.03.2004 bis zum 30.04.2005 bezog der Kläger Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit.

Mit Bescheid vom 21.04.2006 lehnte die Beklagte eine darüber hinaus gehende Gewährung von Rente wegen voller bzw. teilweiser Erwerbsminderung ab. Zur Begründung stützte sie sich auf ein psychiatrisches Gutachten des Oberarztes Z. Darin hieß es u.a., die Anamnese und Befunderhebung erinnere bei oberflächlicher Betrachtungsweise an eine mögliche Erkrankung aus dem Formenkreis der Psychosen. Jedoch sei sowohl die qualitative als auch die quantitative Symptomdarbietung keineswegs mit einer Psychose, welche er aus dem klinischen Alltag kenne, vereinbar. Insbesondere hätten sich in der psychopathologischen Befunderhebung keine wesentlichen pathologischen Besonderheiten, bis auf gewisse Stimmungsschwankungen, eine Klagsamkeit und Minderung der Schwingungsfähigkeit gefunden. Die formalen und inhaltlichen Denkabläufe seien bei objektiver Befrachtung komplett regelrecht. Daher sei die Diagnose einer Erkrankung aus dem Formenkreis der Psychosen im Sinne einer paranoid-halluzinatorischen Psychose oder einer sonstigen wahnhaften Psychose nicht zu begründen. Es bestehe für körperlich bis zu mittelschwere Arbeiten ein vollschichtiges Leistungsvermögen. Falls eine Arbeitsaufnahme innerhalb der nächsten Wochen bis Monate nicht erfolge, wäre eine tagesklinische oder vollstationäre psychiatrische Behandlung sinnvoll.

Die Beklagte stützte sich zudem auf ein Gutachten des Facharztes für Innere Medizin Q von ihrem Sozialmedizinischen Dienst (SMD), der leichte und mittelschwere Tätigkeiten vollschichtig für möglich erachtete.

Seinen Widerspruch stützte der Kläger auf ein Attest des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie, Dr. N. Dieser führte aus, dass unabhängig von der diagnostischen Einordnung die Ausprägung der Störung als schwer einzuschätzen sei. Der Kläger sei im Affekt deutlich abgeflacht und in der Konzentration gemindert. Auch einer leichten Tätigkeit ohne geistige Beanspruchung sei der Kläger nicht ausreichend gewachsen. Vorgesehen sei jetzt eine tagesklinische Behandlung. Die Ergebnisse der tagesklinischen Behandlung sollten mitberücksichtigt werden.

Nachdem die tagesklinische Behandlung vom Kläger nicht durchgeführt wurde, wurde der Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 12.03.2007 zurückgewiesen.

Mit seiner am 21.02.2007 erhobenen Klage hat der Kläger sein Rentenbegehren weiterverfolgt.

Er hat beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 21.04.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.02.2007 zu verurteilen, ihm über den 30.04.2005 hinaus Rente wegen voller Erwerbsminderung zu gewähren.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat an ihrer Entscheidung festgehalten.

Das Gericht hat Beweis erhoben und zunächst Befundberichte beigezogen von dem Praktischen Arzt Dr. U sowie Dr. N. Anschließend hat das Gericht ein chirurgisch-sozialmedizinisches Gutachten der Fachärztin für Chirurgie Dr. E vom 23.10.2007 sowie ein nervenärztliches Zusatzgutachten des Chefarztes der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Q-stiftes F Prof. Dr. X vom 07.12.2007 und eine abschließende Stellungnahme von Dr. E vom 12.12.2007 eingeholt. Prof. Dr. X hat auf neurologischem Fachgebiet kein fokal-neurologisches Defizit und damit auch keine Gesundheitsstörung diagnostizieren können. Der Kläger leide an ei...

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