Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitsunfall. haftungsausfüllende Kausalität. psychoreaktive Unfallfolge
Orientierungssatz
Zur Beurteilung der Zusammenheitsfrage zwischen Arbeitsunfällen und psychoreaktiven Störungen (hier: Schiefhals).
Tatbestand
Streitig ist im Rahmen eines Verfahrens nach § 44 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches - Verwaltungsverfahren - (SGB X), ob dem Kläger wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 29.11.1985 Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit - MdE - von 40 v.H. zusteht. Umstritten ist dabei insbesondere, ob ein beim Kläger bestehender Schiefhals als Unfallfolge anzusehen ist.
Der 1939 geborene, aus Jugoslawien stammende Kläger erlitt am 29.11.1985 einen Arbeitsunfall, als ihm beim Auswechseln einer Papierrolle an einer Rollenabwicklungsmaschine beim Versuch, nach dem Ausschwenken die Abwickelwelle mit dem Aufzug anzuheben, die Welle des Aufzugs rechts seitlich an den Kopf schlug. In der Chirurgischen Abteilung des Evangelischen Krankenhauses L. stellte der Chefarzt und Durchgangsarzt Prof. Dr. K. nach seinem Bericht vom Unfalltag einen Druckschmerz und eine Prellmarke am rechten Scheitelbein direkt über dem rechten Ohr fest sowie einen geringgradigen Schmerz bei Bewegung des Kopfes nach links. Bei den Befundangaben hieß es in dem Bericht weiter: Keine Bewußtlosigkeit, kein Schwindel, kein Erbrechen.
Nachdem der Kläger in der Folgezeit über Schwindel und Kopfschmerz geklagt und am 02.12.1985 eine Hörminderung rechts sowie das Auslaufen eines blutig-wässrigen Sekrets aus dem rechten Ohr angegeben hatte, erfolgten während der bis zum 18.12.1985 dauernden stationären Behandlung neurologische, hno- und augenärztliche Konsiliaruntersuchungen. Der aufgrund von Röntgenaufnahmen ferner in dem Durchgangsarztbericht geäußerte Verdacht auf eine Schädelfraktur des Os temporale rechts wurde bei Kontrollaufnahmen der Schädelbasis, einer Felsenbeinaufnahme nach Schüller sowie einer Computertomographie des Schädels nicht bestätigt. Der zunächst am 11.12.1985 in der HNO-Klinik der W. -Universität in M. erhobene unfallunabhängige Befund eines seit langem bestehenden Cholesteatoms rechts wurde ebenfalls nicht bestätigt. Vielmehr fand sich ein epitympanaler Defekt am rechten Trommelfell, der wegen der am 21.01.1986 festgestellten chronischen, epitympanalen Otitis media rechts zu der Ohrradikaloperation am Folgetage führte. Der Direktor dieser Klinik, Prof. Dr. F., kam in seinem HNO-ärztlichen Gutachten vom 13.11.1986 zu dem Ergebnis, daß keine Hinweise auf einen Bruchspalt und eine traumatische Cholesteatombildung rechts vorlägen, das gesamte klinische Bild vielmehr eine typische chronische Otitis media epitympanalis widerspiegele; die rechtsseitige Taubheit werde vom Kläger vorgetäuscht. In seinem Gutachten vom 21.04.1987 führte der Landesmedizinaldirektor Dr. M., Leiter der Neurologischen Abteilung des W. Landeskrankenhauses in L. aus, für die bei der Untersuchung gezeigte sehr stark zur linken Schulter und nach vorn geneigte Kopfhaltung sowie die geklagten rechtsseitigen Nackenbeschwerden und Mißempfindungen habe sich bisher kein klinisches Korrelat finden lassen und auch die Bewegungsstörungen im Bereich der Halswirbelsäule seien in erheblichem Maß psychogen überlagert. Auch wenn zu berücksichtigen sei, daß sich der Kläger in einer Resignationshaltung befinde und er auf seine Beschwerden fixiert sei, verdiene dennoch die in der Orthopädischen Klinik der Universität Münster gestellte Diagnose eines vertebragenen Schiefhalses besondere Beachtung. Durch ein längeres Hinausschieben der dringend notwendigen orthopädischen Behandlung würde die psychogene Überlagerung weiter zunehmen. Neurologischerseits sei es nicht möglich, eine MdE durch die Folgen des Unfalls anzugeben. Nachdem der beratende Arzt der Beklagten, der Nervenarzt Priv.-Doz. Dr. S., unter dem 04.05.1987 zwar ein Halswirbelsäulenschleudertrauma im eigentlichen Sinne nicht aber eine Schädigung im Bereich der Kopfgelenke durch den Unfall ausgeschlossen hatte und nachdem Priv.-Doz. Dr. H., Leitender Oberarzt der Psychiatrischen und Nervenklinik der W.-Universität M. in seinem Gutachten vom 17.11.1987 zu dem Ergebnis gekommen war, die als Unfallfolgen vorgebrachten Paresen, Sensibilitätsstörungen und eine Riechstörung seien nicht objektivierbar, so daß auf neurologischem Fachgebiet keine Verletzungsfolgen des Arbeitsunfalls vom 29.11.1985 vorlägen, jedoch eine psychiatrische Abklärung wegen einer möglicherweise reaktiven Depression zu empfehlen sei, erstattete Professor Dr. P., Orthopädische Klinik und Poliklinik der W. -Universität, der Beklagten ein Gutachten vom 17.03.1988. Danach lagen auf orthopädischem Gebiet keine Unfallfolgen vor. Er empfahl jedoch eine ambulante Psychotherapie, um einer weiteren Chronifizierung der Somatisierung eines psychischen Konflikts vorzubeugen. In dem Zusammenhang nannte er als unfallunabhängige Erkrankungen eine psychogene Fehlhaltung des Kopfes, Schwindelgefühle, chronische Kopfschmerzen...