Entscheidungsstichwort (Thema)

Voraussetzungen eines Anspruchs auf Witwenrente nach Selbstmord des Versicherten als Folge eines Arbeitsunfalls

 

Orientierungssatz

1. Nach §§ 63 Abs. 1 S. 2 i. V. m. S. 1 Nr. 3, 65 Abs. 1 SGB 7 hat die Witwe eines Versicherten Anspruch auf Witwenrente, wenn der Tod infolge eines Arbeitsunfalls eingetreten ist. Der Unfallbegriff des § 8 Abs. 1 S. 2 SGB 7 erfordert das Element der Unfreiwilligkeit. Deshalb ist der Tod aus eigenem Willensentschluss kein entschädigungspflichtiger Arbeitsunfall.

2. Allerdings kann eine Selbsttötung u. U. mittelbare Folge eines Arbeitsunfalls mit körperlicher organischer Gesundheitsstörung sein, wenn dieser zu einer Willensbeeinträchtigung geführt oder den Entschluss zur Selbsttötung wesentlich mitbedingt hat (BSG Urteil vom 8. 12. 1998, B 2 U 1/98 R).

3. Hierzu ist erforderlich, dass die Selbsttötung des Versicherten im Sinne der unfallrechtlichen Kausalitätslehre wesentlich ursächlich auf die Folgen des Arbeitsunfalls zurückzuführen ist.

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 04.09.2007; Aktenzeichen B 2 U 308/06 B)

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 23. November 2001 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Streitig ist, ob der am 00.03.1999 von dem Ehemann der Klägerin verübte Selbstmord Folge eines Arbeitsunfalls ist und Hinterbliebenenleistungen zu gewähren sind.

Die Klägerin ist die Witwe des 1953 geborenen Versicherten A H (H.). Aus der Ehe entstammen die 1983 und 1987 geborenen Kinder D und K. H. war Bankkaufmann und bei Duisburger Filiale der Dresdner Bank AG als Leiter der Abteilung "Baufinanzierung" im Range eines Prokuristen beschäftigt und bezog eine außertarifliche Vergütung. Am späten Vormittag des 28.11.1995 hatte er sich beurlauben lassen, um bestimmte familiäre Dinge zu erledigen. Gegen 14.15 Uhr verunglückte er auf der Landstraße 1 aus Fahrtrichtung Dinslaken kommend in Fahrtrichtung Hünxe auf gerader Strecke als er aus ungeklärter Ursache nach rechts von der Fahrbahn abkam, den Grünstreifen und Radweg überfuhr und auf dem Böschungsrand mit unverminderter Geschwindigkeit weiterfuhr und nach ca. 50 m frontal gegen einen Pfeiler der Unterführung einer Autobahnbrücke prallte. Bis zum 12.12.1995 wurde er in der Abteilung der Unfallchirurgie des Klinikums Essen behandelt. Der Direktor der Klinik, Prof. Dr. B, diagnostizierte im Entlassungsbericht eine Commotio cerebri mit Rissquetschwunde im Bereich des rechten Oberlides und der Augenbraue, eine Kieferhöhlenfraktur rechts und eine Orbitabodenfraktur rechts, eine Außenknöchel-Mehrfragmentfraktur Typ WEBER C mit Syndesmosenruptur, Innenbandruptur, Außenbandruptur und Knorpelläsion des Talus, eine Rissquetschwunde am linken Kniegelenk mit traumatischer Eröffnung der Bursa präpatellaris sowie ein Thoraxtrauma mit Pneumothorax rechts. Er berichtete, dass der Verletzte im Rahmen der intensivmedizinischen Behandlung über familiäre und berufliche Probleme geklagt und zeitweilig darüber berichtet habe, dass er den Unfall in suizidaler Absicht herbeigeführt haben könnte. Der konsiliarisch hinzugezogene Psychiater habe ein hirnorganisches Psychosyndrom nach Schädelhirntrauma, aber keine Suizidalität festgestellt. Ab dem 12.12.1995 wurde H. in der unfallchirurgischen Abteilung des Krankenhauses Wesel (Chefarzt Dr. O) behandelt. Eine stationäre rehabilitative Behandlung des Versicherten in der Klinik für Neurochirurgische Rehabilitation in Hattingen (Entlassungsbericht von Dr. P vom 13.06.1996) sowie ein Heilverfahren in der Klinik für Neurologie C in Hagen (Entlassungsbericht vom Priv. Doz. Dr. E vom 24.04.1996) schlossen sich an. Im letztgenannten Bericht war ausgeführt worden, der Kläger könne sich weder an den Unfallhergang noch an die Ereignisse vor und nach dem Unfall erinnern. Als Folge des Zustandes nach Schädelhirntrauma wurde ein Hirnleistungsdefizit mit Aufmerksamkeit und Informationsverarbeitung bei geteilter Aufmerksamkeit und kognitiver Flexibilität, ein verminderte psychische Leistungsfähig- und Belastbarkeit festgestellt, die eine belastende und verantwortungsvolle Tätigkeit im Beruf derzeit nicht möglich machten.

Die von der Beklagten durchgeführten Ermittlungen konnten zunächst das Vorliegen eines Arbeitsunfalls nicht bestätigen. Die Klägerin hatte im Januar 1996 ein Gespräch zur Klärung der Umstände des Unfalls abgelehnt und mitgeteilt, H. sei nicht in der Lage sich zum Unfall zu äußern. Nachdem Dr. O im Januar 1996 berichtet hatte, seitens der Angehörigen des Versicherten seien Zweifel am Vorliegen eines Arbeitsunfalls geäußert worden, teilte die Beklagte nach Beiziehung der Verkehrsunfallakten des Kreises Wesel dem Kläger unter dem 03.04.1996 im Rahmen einer Anhörung mit, sie beabsichtige den Unfall nicht als Arbeitsunfall anzuerkennen, weil die durchgeführten Ermittlungen insoweit nicht die Ausübung versicherter Tätigkeit im Zeitpunkt des Unfalls belegt hätten. Der Versicherte trug - anwaltlich vertreten - daraufhin vor, er ha...

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