Entscheidungsstichwort (Thema)
Anerkennung einer BNS-Epilepsie bzw. eines hirnorganischen Anfallsleidens als Folge einer Sechsfachschutzimpfung. Beschädigtenversorgung. Periventrikuläre Leukomalazien. Typische Impfkomplikation. Kausalität. Zeitlicher Zusammenhang. Kann-Versorgung
Orientierungssatz
1. Zur Gewährung von Versorgung wegen eines Impfschadens müssen als anspruchsbegründende Tatsachen die Impfung als schädigende Einwirkung, eine Impfkomplikation als gesundheitliche Schädigung und der Impfschaden als Dauerleiden nachgewiesen sein. Lediglich für den Zusammenhang zwischen der Impfung, der Primärschädigung sowie zwischen dieser und den Schädigungsfolgen genügt es, wenn die Kausalität wahrscheinlich gemacht ist.
2. Ist ein als Impfkomplikation i. S. des § 60 IfSG in Betracht kommendes Krankheitsgeschehen, welches i. S. eines Vollbeweises feststehen muss, nicht aufgetreten, so fehlt es an der erforderlichen Wahrscheinlichkeit dafür, dass die als Impfschaden geltend gemachte BNS-Epilepsie mit den nachfolgenden Gesundheitsstörungen durch eine durchgeführte Schutzimpfung gegen Diphtherie, Haemophilus Influenzae b, Hepatitis B, Pertussis, Poliomyelitis und Tetanus verursacht worden ist.
3. Eine BNS-Epilepsie manifestiert sich typischerweise erst nach Monaten während des ersten Lebensjahres bei vorheriger Unauffälligkeit; dieser liegt häufig eine hirnorganische Störung zugrunde, welche zeitlich länger zurückliegt, unabhängig von späteren Impfungen.
4. Die Gewährung einer Kannversorgung nach § 60 Abs. 1 i. V. m. § 61 S. 2 IfSG ist mit Zustimmung des zuständigen Ministeriums nur dann zu gewähren, wenn ein ursächlicher Zusammenhang nur deshalb nicht als wahrscheinlich angenommen werden kann, weil über die Ursache des festgestellten Leidens in der medizinischen Wissenschaft Ungewissheit besteht. Insoweit fehlt es hinsichtlich einer Schutzimpfung als Ursache für eine Epilepsie an einer einen Ursachenzusammenhang bejahenden medizinischen Lehrmeinung.
Normenkette
IfSG § 2 Nr. 11, § 60 Abs. 1, § 61
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 19.05.2008 wird zurückgewiesen.
Kosten sind auch im zweiten Rechtszug nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist, ob die Klägerin, deren Grad der Behinderung nach dem Sozialgesetzbuch, Elftes Buch (SGB XI) mit 100 und den Nachteilsausgleichen G, B, H und aG festgestellt ist, an einem entschädigungspflichtigen Impfschaden leidet.
Die am 00.00.2004 in der 31. Schwangerschaftswoche geborene Klägerin befand sich nach der Geburt bis zum 25.06.2004 in stationärer Behandlung in der Klinik für Kinder und Jugendliche der Städtischen Kliniken N1 (F-Krankenhaus S). Die Diagnose lautete damals: Frühgeborenes, Metabolische Azidose, Diarrhoe und Gastroenteritis, Anämie, Störung der Temperaturregulation und sonstige Apnoe beim Neugeborenen. Wegen eines Ovarvorfalls links mit operativer Herniorrhaphie und Reposition des linken Ovars war in der Zeit vom 28.06. 2004 bis 01.07.2004 ein erneuter stationärer Aufenthalt erforderlich. Eine weitere Behandlung wegen Blutbeimengung im Stuhl aufgrund von Nahrungsumstellungen bei bekannter Anämie, Koprostase und Hämangiom rechts frontal fand in der Zeit vom 17.07.2004 bis 22.07.2004 statt.
Am 09.09.2004 erhielt die Klägerin die erste und am 11.10.2004 die zweite von insgesamt drei Schutzimpfungen gegen Diphtherie, Haemophilus Influenzae b, Hepatitis B, Pertussis, Poliomyelitis und Tetanus mit dem Impfstoff Hexavac® der Firma Aventis-Pasteur. Nach den Angaben der die Klägerin damals behandelnden Kinderärzte Dres. G vertrug die Klägerin diese beiden Impfungen gut. Abgesehen von leicht erhöhter Temperatur, die sich bereits am folgenden Tag wieder normalisiert hatte, sind unmittelbare Impfreaktionen nicht aktenkundig.
Um Weihnachten 2004 traten bei der Klägerin leichte Anfälle auf, die mit einem Verdrehen der Augen nach rechts oben und einem untypischen Strecken der Arme verbunden waren. Die Eltern suchten deshalb am 03.01.2005 den Kinderarzt auf. Bei der Untersuchung zeigten sich keine Auffälligkeiten. Die Klägerin erhielt bei dieser Gelegenheit die dritte Schutzimpfung mit Hexavac®. Die Eltern dokumentierten die Auffälligkeiten zuhause mit einer Videokamera. Der Kinderarzt veranlasste daraufhin am nächsten Tag eine stationäre Beobachtung und Behandlung im F-Krankenhaus S (04.01.2005 bis 02.03.2005). Die Ärzte erhoben erstmals unter anderem den Befund einer BNS-Epilepsie (sog. West Syndrom) mit psychomotorischer Entwicklungsretardierung (Arztbrief vom 02.03.2005). Die Klägerin leidet, von den Eltern nicht in Abrede gestellt, zudem an einer infantilen Zerebralparese, einer beidseitigen Schädigung der Sehnerven und einem offenen Ductus Arteriosus Botalli mit Links-Rechts-Shunt.
Am 27.06.2006 beantragten die Eltern der Klägerin für diese beim Versorgungsamt B Leistungen wegen eines Impfschadens. Dem Antrag fügten sie Berichte des F-Krankenhaus S über die dort erfolgten Behandlungen, den Bericht der Klini...