Entscheidungsstichwort (Thema)
Soziales Entschädigungsrecht. Impfschaden. Kausalität. zeitlicher Zusammenhang nicht ausreichend. Schreien und Quengeln bei Kleinkindern. keine unübliche Impfreaktion. Möglichkeit der Frühgeborenen-Encephalopathie bei schweren Schwangerschaftskomplikationen. Kann-Versorgung. sozialgerichtliches Verfahren. ergänzende Anhörung eines Sachverständigen. Bezeichnung konkreter Aspekte
Orientierungssatz
1. Ein rein zeitlicher Zusammenhang zwischen Impfung und dem Auftreten einer Erkrankung begründet noch keinen kausalen Zusammenhang im Sinne des Impfschadensrechts (vgl LSG Essen vom 29.9.2010 - L 6 VJ 23/05).
2. Dass ein Kleinkind unmittelbar nach den Impfungen vermehrt schreit und/oder quengelig ist, weist nicht auf eine unübliche Impfreaktion hin.
3. Bei Auftreten von schweren Schwangerschaftskomplikationen (hier in Gestalt des HELLP-Syndroms) kann anstelle eines Impfschadens auch die Diagnose einer Frühgeborenenencephalopathie ableitbar sein.
4. Ist dies der Fall, kommt auch eine Kann-Versorgung nach § 61 S 2 IfSG nicht in Betracht.
5. Das Gericht ist nicht gehalten, von Amts wegen einen Sachverständigen ergänzend anzuhören, wenn der Sachverhalt durch erst- und zweitinstanzlich eingeholte Gutachten bereits hinreichend geklärt ist und der Kläger keinerlei Aspekte benannt hat, zu denen der Sachverständige ergänzend gehört werden soll.
Normenkette
IfSG § 60 Abs. 1 S. 1, § 61 S. 2, § 2 Nr. 11; SGG § 109 Abs. 2
Nachgehend
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 12.01.2015 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um Rentenleistungen nach dem Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (IfSG) i.V.m. dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) wegen Mehrfachimpfungen insbesondere im Jahr 2008.
Der Kläger kam am 2008 als erstes Kind seiner Mutter per Notsectio in der 37. Schwangerschaftswoche im D-Hospital in N zur Welt. Anlass für die Notsectio war eine Schwangerschaftskomplikation in Gestalt eines HELLP-Syndroms bei der Mutter. Nach der Geburt wurde ein APGAR-Score von 10/10 festgestellt. Wegen einer Blutung befand sich der Kläger vorübergehend auf der Kinderintensivstation. Die Vorsorgeuntersuchungen ergaben zunächst einen weitgehend unauffälligen Befund.
Der Kläger wurde vom behandelnden Kinderarzt Dr. H mit dem Impfstoff R.T. gegen das Rotavirus und am 04.07.2008, 12.08.2008, 25.09.2008 sowie 24.04.2009 mit den Impfstoffen I.H. und P. gegen Tetanus, Diphtherie, Pertussis, Haemophilus influenzae b, Hepatitis B und Poliomyelitis sowie Pneumokokken geimpft.
Ab dem 01.10.2008 wurde der Kläger stationär im D-Hospital N wegen eines Krampfanfalls am Morgen des 01.10.2008 behandelt. Am 02.10.2008 kam es erneut zu einem Krampfanfall. Die dort durchgeführte Diagnostik ergab keinen richtungsweisenden Befund. Auch ein MRT vom 02.10.2008 wurde als unauffällig bewertet. Im Übrigen wurden Petechien diagnostiziert. Anlässlich der U6 am 02.03.2009 stellte Dr. H eine statomotorische Retardierung fest. Der Kläger befand sich in der Folge insbesondere in der Behandlung des D-Hospitals N und des Universitätsklinikums N (UKM). Vom D-Hospital N wurden im Juli 2009 eine zunehmende Hirnatrophie und eine Myelinisierungsverzögerung beschrieben. Im Januar 2012 kam es zu einem erneuten Krampfanfall. Trotz umfangreicher Diagnostik konnte eine Ursache für die beim Kläger vorliegende neurologische Erkrankung nicht festgestellt werden. Der Landrat des Kreises D stellte mit Bescheid vom 09.07.2010 einen Grad der Behinderung (GdB) von 100 und das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen mehrerer Merkzeichen fest. Ab 2010 wurden von der Pflegekasse Leistungen nach der Pflegestufe I, ab 2011 nach der Pflegestufe II gewährt.
Am 18.11.2011 stellte der Kläger, vertreten durch seine Eltern, unter Vorlage des Impfpasses, des Vorsorgeheftes und diverser Behandlungsberichte beim Beklagten einen Antrag auf Anerkennung einer globalen Entwicklungsstörung, einer Myelinisierungsstörung, einer Hirnatrophie und von Petechien als Impfschaden. Der Beklagte zog einen Befundbericht von Dr. H sowie Behandlungsunterlagen des UKM bei und holte Stellungnahmen des Paul-Ehrlich-Institutes (PEI) sowie der Sozialmedizinerin Dr. C ein, die zuvor die Eltern des Klägers persönlich befragte. Den Unterlagen von Dr. H war eine Verdachtsmeldung an das PEI vom 25.04.2012 beigefügt, in der er angab, es habe keine übermäßigen Impfreaktionen gegeben. Eine Heilpraktikerin habe einen Zusammenhang mit den Impfungen vermutet. In den Unterlagen des UKM wurde eine Entwicklungsretardierung bei dem Sohn eines Onkels mütterlicherseits erwähnt. Bei der Befragung durch Dr. C gaben die Eltern des Klägers an, ihnen seien am 12./13.09.2008 Einblutungen aufgefallen. Der Kläger habe nach den Mehrfach-Impfungen viel geschrien und sei q...