Entscheidungsstichwort (Thema)
Wirtschaftlichkeitsprüfung. Praxisbesonderheit. Darlegungs- und Beweislast beim Vertragsarzt. Anscheinsbeweis auf Wirtschaftlichkeitsprüfungsverfahren nicht übertragbar
Orientierungssatz
1. Ein unwirtschaftliches Verhalten kann weder durch eine besondere Praxisausstattung, noch eine besondere Ausbildung, noch durch besondere Kenntnisse oder Fähigkeiten widerlegt werden, zumal diese Umstände auch geeignet sein können, den Arzt zu einem unwirtschaftlichen Verhalten zu verleiten (vgl BSG vom 18.5.1983 - 6 RKa 18/80 = BSGE 55, 110).
2. Rechtserhebliche Praxisbesonderheiten sind allein patientenbezogene und nicht arztbezogene Umstände.
3. Der bloße Hinweis auf Einsparungen im Bereich der Besuche, der Krankenhauseinweisungen, der AU-Bescheinigungen und bei den Arzneimittelverordnungen ergibt keinen Anhaltspunkt für einen Kausalzusammenhang zwischen erhöhtem Behandlungsaufwand und Kosteneinsparung. Vielmehr muß vom Vertragsarzt ein zahlenmäßiger Zusammenhang zwischen dem Mehraufwand in dem einen und dem Minderaufwand in dem anderen Bereich dargelegt und nachgewiesen werden (vgl BSG vom 15.4.1986 - 6 RKa 38/84 = SozR 2200 § 368n Nr 43).
4. Der Anscheinsbeweis ist im zivilprozessualen Verfahren erschüttert, wenn die ernsthafte Möglichkeit eines anderweitigen Geschehensablaufs dargelegt wird. Dies ist angesichts einer Reihe von Besonderheiten auf Wirtschaftlichkeitsprüfungsverfahren nicht übertragbar.
Tatbestand
Streitig sind im Berufungsverfahren noch Honorarkürzungen wegen unwirtschaftlicher Behandlungsweise in der Sparte Sonderleistungen (Quartale 4/1990, 1/1991, 3/1991 und 1/1992).
Der Kläger ist als praktischer Arzt in zu vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. In den streitbefangenen Quartalen ergaben sich folgende Abrechnungswerte:
4/90
Gesamtfallwert+ 35%
Fallzahlen- 44%
Sonderleistungen+ 148%
|
+ 99% |
+ 136% |
+ 149% |
+ 112% |
Die Prüfungskommission kürzte die Honoraranforderungen des Klägers durch Beschlüsse vom 22.04.1991, 22.07.1991, 22.01.1992, 27.04.1992 und 27.07.1992 wie folgt:
- Sparte Sonder-
leistungen um 30%
(Restüberhang)(74%)
|
(74 %) |
(71%) |
(74%) |
(75%). |
In seinen Widersprüchen machte der Kläger geltend, angesichts seiner unterdurchschnittlichen Fallzahl bedürfe es einer Einzelfallanalyse. Die Überschreitung im Bereich der Sonderleistung sei gerechtfertigt, denn sie stehe in einem ursächlichen Zusammenhang mit Einsparungen bei den Arzneiverordnungen, den Besuchen, den Krankenhauseinweisungen und AU-Feststellungen. Sein Leistungsspektrum sei breit gefächert.
Nach Einholung zweier Prüfreferate eines Chirurgen und eines praktischen Arztes wies die Beklagte die Widersprüche des Klägers zurück. Eine Einzelfallprüfung sei nicht erforderlich. Vergleichsgruppe sei die der praktischen Ärzte. Etwaige Praxisbesonderheiten würden nicht die Bildung einer engeren Vergleichsgruppe rechtfertigen. Die Überschreitungen lägen im Bereich des offensichtlichen Mißverhältnisses und würden die Vermutung der Unwirtschaftlichkeit der Behandlungsweise begründen. Der Kläger habe nur sehr wenige operative Maßnahmen abgerechnet, die zur Abrechnung der Ziffer 80 berechtigen könnten. Die chirurgischen Leistungen würden von der überwiegenden Zahl der Ärzte der Vergleichsgruppe ausgeführt. Der Hinweis, durch ambulante Operationen bzw. Neuraltherapie Arbeitsunfähigkeiten und Krankenhauseinweisungen einzusparen bzw weniger an andere Ärzte zu überweisen, reiche nicht aus, um dies zu seinen Gunsten berücksichtigen zu können.
Mit seiner Klage hat der Kläger sein Vorbringen aus dem Verwaltungsverfahren wiederholt und vertiefend vorgetragen, angesichts der niedrigen Scheinzahl sei ein aussagekräftiger statistischer Vergleich nicht möglich. Chirurgische und neuraltherapeutische Leistungen seien als Praxisbesonderheiten zu würdigen. Unterschreitungen bei den Krankenhauseinweisungen würden die Mehrkosten im Bereich der Sonderleistungen kompensieren. Unzweifelhaft arbeite er insgesamt wirtschaftlich.
Die Beklagte hat dem entgegengehalten, daß den Prüfgremien bei der Anerkennung von Praxisbesonderheiten weitreichende Beurteilungs- und Ermessenspielräume eingeräumt seien. Der angefochtene Bescheid sei rechtmäßig.
Die Klage hatte insoweit Erfolg, als das Sozialgericht Dortmund die Beklagte durch Urteil vom 18.01.1996 verpflichtet hat, über die Widersprüche des Klägers betreffend die Sparte Sonderleistungen unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden. Die Beklagte habe sich nicht eingehend mit der Frage auseinandergesetzt, ob von den vom Kläger erzielten erheblichen Einsparungen bei den Arzneiverordnungskosten zumindest Teilbeträge als kompensatorisch zu den Mehrkosten bei den Sonderleistungen anerkannt werden können. Aus zahlreichen anderen Streitverfahren sei der Kammer bekannt, daß die Prüfgremien bei Ärzten, die -- wie der Kläger -- in einem besonderen Umfang die Neuraltherapie betreiben, von Amts wegen eine...