Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialrechtlicher Herstellungsanspruch wegen unterlassener Spontanberatung zu § 118 Abs. 2 SGB 3
Orientierungssatz
1. Über die seit 01.01.2005 nach § 118 Abs. 2 SGB 3 für den Arbeitnehmer bis zur Entscheidung über den Anspruch bestehende Möglichkeit, zu bestimmen, dass dieser zu einem späteren Zeitpunkt entstehen soll, muss das Arbeitsamt in geeigneten Fällen spontan beraten, andernfalls besteht ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch.
2. Der Pflicht zur Spontanberatung nach § 118 Abs. 2 SGB 3 steht nicht entgegen, dass ein Zeitraum von 12 Monaten überbrückt werden muss, um eine längere Anspruchsdauer zu erreichen.
3. Ein geeigneter Beratungsfall liegt insbesondere vor, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Arbeitslose die betreffende Zeitspanne finanziell überbrücken kann, wie etwa bei einer Abfindung oder einer mit Klage vor dem Arbeitsgericht angegriffenen fristlosen Kündigung.
4. Die Pflicht zur Spontanberatung hat sich seit 01.01.2005 intensiviert, weil § 118 Abs. 2 SGB 3 Arbeitslosen vor Vollendung des 57. Lebensjahres ermöglichen soll, der Verpflichtung zur verschärften Anrechnung von Vermögen zu entgehen.
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 08.09.2006 geändert. Die Beklagte wird unter Änderung des Bescheides vom 22.09.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.10.2005 verpflichtet, dem Kläger Arbeitslosengeld ab dem 01.11.2005 für 960 Kalendertage zu gewähren. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Rechtszügen. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist, ob der Kläger Anspruch auf Arbeitslosengeld (Alg) für 780 oder für 960 Tage hat.
Der am 00.00.1948 geborene Kläger war ab dem 09.01.1995 als gewerblicher Mitarbeiter bei der W Gewürze GmbH & Co. KG (W-KG) in X beschäftigt. Am 08.04.2005 kündigte die W-KG das Arbeitsverhältnis fristlos. Am 11.04.2005 meldete der Kläger sich arbeitslos und beantragte Alg. In den Angaben zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses erklärte er, er habe Kündigungsschutzklage erhoben und wolle in die Firma zurück. Eine Beratung über die Möglichkeit, den Beginn des Anspruchs zu verschieben, fand nicht statt. Mit Bescheid vom 29.04.2005 bewilligte die Beklagte dem Kläger vorläufig Alg. Gleichzeitig machte sie ihren Erstattungsanspruch gegenüber der W-KG geltend. Am 25.08.2005 schlossen der Kläger und die W-KG im Kammertermin vor dem Arbeitsgericht (ArbG) Wuppertal einen Vergleich, demzufolge das Arbeitsverhältnis aufgrund fristloser betriebsbedingter Kündigung der W-KG mit sozialer Auslauffrist zum 31.10.2005 beendet wurde. Bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses blieb der Kläger unter Anrechnung des ihm zustehenden Urlaubs von der Erbringung der Arbeitsleistung freigestellt. Die W-KG verpflichtete sich, das Arbeitsverhältnis ab April 2005 auf der Basis eines Bruttomonatsgehaltes von 1.969,74 EUR abzurechnen und die sich daraus ergebenden Nettobeträge an den Kläger auszuzahlen, soweit die Ansprüche nicht auf die Beklagte übergegangen waren. Die Beklagte teilte dem Kläger daraufhin mit, dass sein Anspruch auf Alg ruhe und sie das vom 09.04. bis zum 31.08.2005 gezahlte Alg in Höhe von 3.998,40 EUR von der W-KG erstattet verlange. Die W-KG befriedigte den Erstattungsanspruch der Beklagten. Diese bewilligte dem Kläger daraufhin Alg ab dem 01.11.2005 für die Dauer von 780 Tagen (Bescheid vom 22.09.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.10.2005).
Mit der dagegen zum Sozialgericht (SG) Düsseldorf erhobenen Klage hat der Kläger vorgetragen, er sei erstmals ab dem 01.11.2005 arbeitslos und habe daher wegen zwischenzeitlicher Vollendung des 57. Lebensjahres am 18.10.2005 Anspruch auf Alg für 960 Tage. Vor dem 01.11.2005 sei Arbeitslosigkeit wegen des fortbestehenden Arbeitsverhältnisses nicht eingetreten. Die Arbeitslosmeldung am 11.04.2005 sei nur vorsorglich erfolgt.
Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 08.09.2006). Maßgeblich sei das Lebensalter des Klägers bei Entstehung des Anspruchs. Der Anspruch sei am 09.04.2005 entstanden, weil der Kläger zu diesem Zeitpunkt alle Anspruchsvoraussetzungen erfüllt habe. Insbesondere sei er arbeitslos gewesen. Hieran habe sich wegen der Freistellung durch die W-KG auch nichts geändert, denn das Beschäftigungsverhältnis sei ihretwegen nicht wieder aufgelebt. Zu keinem anderen Ergebnis führe es, dass die W-KG das gezahlte Alg erstattet habe. Aufgrund dessen habe der Alg-Anspruch lediglich geruht, er sei aber nicht erloschen. Eine längere Anspruchsdauer ergebe sich auch nicht aus dem sozialrechtlichen Herstellungsanspruch, weil die Beklagte hinsichtlich der Möglichkeit zur Verschiebung des Anspruchsbeginns keine Pflicht zur Spontanberatung gehabt habe.
Mit der Berufung trägt der Kläger vor, er hätte im Falle einer zutreffenden Beratung durch die Beklagte darüber, dass es hinsichtlich der Anspruchsdauer allein auf den erstmaligen Antrag ankomme, den Zeitraum bis zur Wiederaufnahme der Zahl...