Entscheidungsstichwort (Thema)
Bildung des Gesamtgrades der Behinderung im Schwerbehindertenrecht
Orientierungssatz
1. Nach § 48 Abs. 1 S. 1 SGB 10 ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt.
2. Für die Bildung des Gesamt-GdB sind die Gesamtauswirkungen sämtlicher Funktionsbeeinträchtigungen maßgebend. Aus einem Teil-GdB von 30 für einen Nierenverlust und ein Migräneleiden und einem solchen von 20 für ein Schulterleiden ist ein Gesamt-GdB von 40 zu bilden.
Normenkette
SGB X § 48 Abs. 1 S. 1; SGB IX §§ 69, 145, 2 Abs. 1
Tenor
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 13.09.2013 geändert. Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 24.01.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung Münster vom 04.07.2011 verurteilt, bei der Klägerin ab dem 03.11.2010 einen GdB von 40 festzustellen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Der Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin im erstinstanzlichen Verfahren zu einem Drittel. Außergerichtliche Kosten der Klägerin im Berufungsverfahren sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darum, ob bei der Klägerin ein höherer Grad der Behinderung (GdB) als 30 festzustellen ist.
Die am 00.00.1950 geborene Klägerin arbeitete zuletzt als OP-Krankenschwester und zwar von 1997 bis zu ihrem Renteneintritt Anfang 2014. Sie ist verheiratet und hat einen erwachsenen Sohn. In den 1960er und 1970er Jahren wurden drei Operationen im Bauchraum vorgenommen. 2000 spendete die Klägerin ihrem Ehemann eine Niere. Sie macht maßgeblich Beschwerden der Schulter und Migräne bzw. Kopfschmerzen geltend.
Das Versorgungsamt N stellte mit Bescheid vom 20.09.2000 einen GdB von 30 wegen der Entfernung der linken Niere sowie einer Migräne fest und lehnte mit Bescheid vom 08.02.2002 die Feststellung eines höheren GdB ab, da diese auch unter Berücksichtigung der bestehenden Verwachsungsbeschwerden nach Darmoperation nicht gerechtfertigt sei. Am 03.11.2010 stellte die Klägerin den hier maßgeblichen Verschlimmerungsantrag, mit dem sie eine rückwirkende Feststellung eines höheren GdB ab dem 01.01.2010 wegen Steuervorteilen begehrte. Der Beklagte holte Befundberichte der Allgemeinmediziner und Urologen Dres. T3 ein. Der Augenarzt und Allgemeinmediziner Dr. T bewertete die Entfernung der linken Niere mit einem Einzel-GdB von 30, die Migräne mit einem Einzel-GdB von 20 und den GdB insgesamt weiter mit 30. Der Beklagte lehnte daraufhin den Antrag mit Bescheid vom 24.01.2011 ab. Die Klägerin legte am 04.02.2011 Widerspruch ein und trug vor, aufgrund der fehlenden Niere in ihren sportlichen Aktivitäten und in ihrem Beruf eingeschränkt zu sein. Der Beklagte holte weitere Befundberichte von der Radiologin Dr. T1, dem Internisten Dr. C, dem Orthopäden Dr. Z, den Radiologen Dr. H und Dr. I sowie vom Universitätsklinikum N ein. In einer versorgungsärztlichen Stellungnahme führte Dr. S aus, die Nierenfunktion sei nicht eingeschränkt. Die Bezirksregierung N wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 04.07.2011 zurück.
Am 15.07.2011 hat die Klägerin Klage beim Sozialgericht Münster erhoben und die Feststellung eines GdB von 50 ab Antragstellung begehrt. Sie müsse sich wegen ihrer Einnierigkeit schonen. Ihre Leistungsfähigkeit habe nachgelassen. Sie leide an einem Fatigue-Syndrom. Wegen ihrer Migräne sei sie nicht in ärztlicher Behandlung. Sie habe die Erfahrung gemacht, dass ohnehin nur Schmerzmittel verordnet würden. Diese könne sie sich angesichts ihrer medizinischen Vorbildung selbst besorgen.
Das Sozialgericht hat von Amts wegen Sachverständigengutachten des Internisten Prof. Dr. H, des Orthopäden Dr. G und des Neurologen und Psychiaters Dr. C eingeholt. Laut dem Sachverständigen Prof. Dr. H hat die Klägerin dort angegeben, die Funktion ihrer rechten Niere sei in Ordnung. Sie habe gelegentlich Harnwegsinfekte gehabt, zuletzt 2010. Wegen Kopfschmerzen und Schulterbeschwerden könne sie schlecht schlafen. Die Migräne trete ca. ein- bis zweimal im Monat auf. Sowohl wegen der Schulterschmerzen als auch wegen der Migräne nehme sie bei Bedarf Ibuprofen 800 und zwar ca. 25 Tabletten pro Monat. Der Sachverständige hat ausgeführt, die Klägerin habe den linken Arm schmerzbedingt nicht über den Kopf heben können. Das Nierenleiden sei wegen einer Leukozyturie mit einem Einzel-GdB von 30, die Migräne bei mittelgradigem Verlauf ebenfalls mit einem Einzel-GdB von 30 und das Schulterleiden mit einem Einzel-GdB von 20 zu bewerten. Der GdB insgesamt betrage 40. Es komme zu negativen Wechselwirkungen zwischen der Migräne und den Schulterbeschwerden, das Nierenleiden führe nicht zu einer Erhöhung. Laut dem Sachverständigen Dr. G hat die Klägerin angegeben, ca. zwei bis drei Tabletten Ibuprofen 800 pro Woche einzunehmen. Der Sachver...