Entscheidungsstichwort (Thema)
Höhe des Arbeitslosengeldes. Erweiterung des Bemessungsrahmens. unbillige Härte. Lohnverzicht wegen Arbeitsplatzsicherung. Gehaltsunterschied
Orientierungssatz
1. Die Berechnung des Arbeitslosengeldes nach dem aufgrund freiwilligem Lohnverzichts wegen Arbeitsplatzsicherung niedrigeren Jahresentgelt des unmittelbar vor der Arbeitslosigkeit liegenden Jahres stellt eine unbillige Härte iS des § 130 Abs 3 S 1 Nr 2 SGB 3 dar. Es entspricht der Billigkeit im Rahmen des § 130 Abs 3 S 1 Nr 2 SGB 3 auf die Zeit vor dem freiwilligen Lohnverzicht abzustellen.
2. Ein Gehaltsunterschied von 6,47 % ist nicht als unwesentlich anzusehen, sondern bewegt sich im Ergebnis bei einer wirtschaftlich deutlich spürbaren Auswirkung, die bereits ab einer Grenze von 5% überschritten ist. Die anders lautenden internen Verwaltungsvorschriften der Bundesagentur für Arbeit, die das unterhalb der Grenze von 10% Gehaltsunterschied ausschließen sollen, sind insoweit wegen des Verstoßes gegen höherrangiges Recht unbeachtlich.
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 6.1.2006 geändert und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 11.5.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.7.2005 verurteilt, dem Kläger Arbeitslosengeld aufgrund eines Bemessungsentgelts in Höhe von 129,92 EUR zu gewähren. Die Beklagte erstattet die außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Rechtszügen. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Berechnung seines Arbeitslosengeldes nach dem zwei Jahre zurück liegenden höheren Verdienst.
Er war seit September 1969 im Metallunternehmen H mbH (im Folgenden H) beschäftigt, zuletzt als Ausbilder. Im Jahr 2004 schloss die H mit ihrem Betriebsrat eine Betriebsvereinbarung, nach der für die die Monate April 2004 bis März 2005 (einschließlich) die sonst fällige Sonderzahlung einbehalten und das Gehalt der Mitarbeiter um 4 % gekürzt wurde, um die Arbeitsplätze zu sichern. 2005 wurde der Betrieb der H eingestellt und der Kläger betriebsbedingt zum Ende des Monats April 2005 gekündigt.
Die Beklagte berechnete das vom Kläger beantragte Arbeitslosengeld nach dem Verdienst des Jahres 2004 (Bescheid vom 11.5.2005). Den Rechtsbehelf des Klägers, mit dem dieser die Berücksichtigung des höheren Verdiensts des Jahres 2003 aus der Zeit vor der Betriebsvereinbarung begehrte, wies sie zurück (Widerspruchsbescheid vom 28.7.2005).
Das Sozialgericht hat die angefochtenen Bescheide durch Urteil vom 6.1.2006 (S 37 AL 318/05) bestätigt und zur Begründung die Auffassung vertreten, die Voraussetzungen der Vorschrift des § 130 Absatz 3 Satz 1 Nr. 2 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III), der in Härtefällen ausnahmsweise die Berücksichtigung des zwei Jahre zurück liegenden Arbeitsentgelts bei der Berechnung des Arbeitslosengeldes zulässt, lägen nicht vor. Denn eine solche unbillige Härte habe das Bundessozialgerichts bislang erst bei einem Gehaltsunterschied von 25 % festgestellt (SozR 4100 § 112 Nr. 6 und Nr. 19). Andere Gesichtspunkte wie etwa der Grund, warum das Gehalt kurz vor der Arbeitslosigkeit gesunken sei, könnten keine Berücksichtigung finden.
Dagegen richtet sich die rechtzeitige Berufung des Klägers, der ebenso wie die Beklagte der Entscheidung des Berichterstatters ohne mündliche Verhandlung zugestimmt hat.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
wie erkannt.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie bezieht sich neben der Rechtsprechung des BSG auf ihre Verwaltungsvorschriften, die für einen Härtefall einen Gehaltsunterschied von mindestens 10 % vorgeben.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung ist begründet. Das Urteil des Sozialgerichts war zu ändern, denn die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinem sozialen Recht aus § 130 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB III auf Berücksichtigung seines zwei Jahre zurückliegenden Verdiensts bei Berechnung des Arbeitslosengeldes.
Die Berechnung nach dem niedrigeren Jahresentgelt des unmittelbar vor der Arbeitslosigkeit liegenden Jahres stellt hier eine unbillige Härte dar. Zwar hat das Sozialgericht zutreffend festgestellt, dass der Gehaltsunterschied im Fall des Klägers, bezogen auf den auf zwei Jahre zeitlich erweiterten Bemessungsrahmen , "lediglich" 6,47 % beträgt und damit die von der Beklagen für zwingend gehaltene Grenze nicht erreicht.
Nicht gefolgt werden kann dem Sozialgericht jedoch darin, dass die Gründe für den Gehaltsunterschied bei der Feststellung eines Härtefalls stets außer Betracht zu bleiben haben. Denn der unbestimmte Rechtsbegriff der "unbilligen Härte", den das Gesetz in § 130 Abs. 3 Nr. 2 SGB II gebraucht, ist kein rein rechnerisches, sondern ein wertausfüllungsbedürftiges Kriterium. Dabei sind die Wertungselemente dem Zweck der Bestimmung zu entnehmen. Auszugehen ist vom Grundzweck des Arbeitslosengeldes, das dazu dient, den Arbeitnehmern, das solidarisch versicher...