Entscheidungsstichwort (Thema)

Kosten der Unterkunft und Heizung. Mietverhältnis zwischen Familienangehörigen. Bindungswille. Fremdvergleich. Scheingeschäft

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Ob der rechtliche Bindungswille der (vermeintlichen) Mietvertragsparteien besteht, beurteilt sich bei einem Mietverhältnis zwischen Familienangehörigen nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalls.

2. Der Maßstab eines sogenannten Fremdvergleichs, nach dem Verträge zwischen nahen Angehörigen im Hinblick auf tatsächliche Aufwendungen im Rahmen eines Mietverhältnisses nur dann einen wirksamen Rechtsbindungswillen begründeten, wenn sie nach Inhalt und tatsächlicher Durchführung dem zwischen Fremden Üblichen entsprächen und diesem Vertragsinhalt gemäß vollzogen würden, scheidet dabei aus.

3. Für ein Scheingeschäft und gegen eine ernsthaft vereinbarte Miete spricht, wenn über einen Zeitraum von mehr als sechs Jahren keine Miete entrichtet worden ist, ohne dass dies zu mietrechtlichen Konsequenzen geführt hat.

 

Normenkette

SGG §§ 54, 56, 67, 86, 96, 128 Abs. 1 S. 1; SGB II §§ 7, 9, 11-12, 22; SGB X §§ 31, 39 Abs. 2; BGB §§ 117, 133, 157, 535 Abs. 2

 

Tenor

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 04.11.2019 geändert und die Klage abgewiesen.

Der Beklagte trägt von den außergerichtlichen Kosten des Klägers im ersten Rechtszug die Hälfte. Im Übrigen findet keine Kostenerstattung statt.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über Aufwendungen für Unterkunft und Heizung nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) für den Zeitraum vom 01.05.2016 bis 31.12.2017.

Der am 00.00.1982 geborene Kläger absolvierte eine Ausbildung zum Gas- und Wasserinstallateur, die er zum 31.07.2000 erfolgreich abschloss. Von 2001 bis 2003 war er als Helfer bei einer Zeitarbeitsfirma und von Mitte 2006 bis Anfang 2008 als Kurier in einem Dienstleistungsunternehmen beschäftigt. Er bezog vom 01.03.2008 bis zum 28.02.2009 Arbeitslosengeld von der Agentur für Arbeit X. in Höhe von monatlich 572,70 Euro.

Am 18.03.2009 schlossen der Kläger und sein Vater, der Zeuge P. T. (im Folgenden: Zeuge T.), einen "Mietvertrag" über eine Anliegerwohnung in der D.-straße 2 in X. ab, die im Eigentum des Zeugen T. steht und Teil eines 185 m2 großen Wohnhauses ist. Das Mietverhältnis sollte laut Mietvertrag auf unbestimmte Dauer eingegangen werden. Mietbeginn sollte der 01.04.2009 sein. Die Wohnfläche wurde mit 46 m2 angegeben. Die Gesamtmiete sollte 395 Euro betragen (Grundmiete 320 Euro, Nebenkosten 25 Euro, Heizkosten 50 Euro). Die Kosten der Wasserversorgung, Entwässerung und Müllabfuhr sollten nach Anzahl der Personen, die übrigen Betriebskosten sollten nach Anteil der Wohnfläche abgerechnet werden; über die Heiz- und Betriebskosten sollte einmal jährlich abgerechnet werden; Abrechnungsende sollte dabei der 31.05. sein. Es wurde zudem die Zahlung einer Mietkaution in Höhe von 900 Euro vereinbart.

Das betreffende Wohngebäude besteht seit 1956 aus zwei separaten Wohneinheiten mit einem Ober- und Untergeschoss. Die Eltern des Klägers wohnen im Untergeschoss. Die im Obergeschoss liegende und vom Kläger bewohnte Zweizimmerwohnung ist mit einem separaten Eingang ausgestattet und Teil einer 90 m2 großen Wohneinheit, die insgesamt vier Zimmer umfasst. Bis zu seinem Einzug hatte der Kläger in einem der anderen zwei Zimmer im Obergeschoss gewohnt. Die anderen zwei Zimmer der Wohneinheit werden seit Mietvertragsschluss nicht von dem Kläger, sondern wechselweise von den übrigen Familienangehörigen genutzt. Bis 1978 war die Wohnung im Obergeschoss fremdvermietet. Die Großmutter des Klägers wohnte dort unentgeltlich von 1978 bis zu ihrem Auszug im Jahr 2009; etwa Mitte der 1980er Jahre übertrug sie das Eigentum an dem Grundstück auf den Zeugen T., ihr einziges Kind.

Nach Mietvertragsschluss schloss der Kläger bei der K. GmbH aus X. einen Energielieferungsvertrag für die Wohnung ab.

Am 19.06.2009 beantragte der Kläger bei der Kooperation Arbeit und Soziales (K-A-S) M., der Rechtsvorgängerin des Beklagten, Leistungen nach dem SGB II.

Am 10.07.2009 führten Mitarbeiter der K-A-S M. eine Wohnungsbesichtigung beim Kläger durch und stellten fest, dass am Haupteingang des Hauses ein Klingelschild und ein Briefkasten mit dem Namen "T." beschriftet war. Es handele sich um eine 90 m2 große Vierzimmerwohnung, wobei nach Auskunft des Zeugen T. ein 30 m2 großes Zimmer nicht vermietet sei und ein weiteres Zimmer (ca. 20 m2) als Flur benutzt werde. Der dritte Raum (ca. 22 m2) werde als Ess- und Wohnbereich benutzt. Eine vollständige und funktionstüchtige Kücheneinrichtung sei vorhanden. Der vierte Raum (ca. 18 m2) sei das Schlafzimmer des Klägers. Daran angrenzend befinde sich das funktionstüchtige Duschbad.

Im Zuge der Wohnungsbesichtigung gab der Kläger an, dass er seit dem Ende des Arbeitslosengeldbezugs von Erspartem gelebt habe. Seit dem 01.04.2009 habe er nach dem Tod seiner Großmutter eine eigene Wohnung von sei...

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