Entscheidungsstichwort (Thema)
Unzulässigkeit der Verpflichtungsklage auf vorläufige Leistungsbewilligung in bestimmter Höhe nach endgültiger Entscheidung. Zulässigkeit der Fortsetzungsfeststellungsklage. Grundsicherung für Arbeitsuchende. Berücksichtigung schwankenden Einkommens. fehlende Ermessensentscheidung zur Höhe des vorläufigen Durchschnittseinkommens. fehlende Abschätzung des zu erwartenden Gesamteinkommens. Unzulässigkeit eines Sicherheitsaufschlages
Orientierungssatz
1. Eine Verpflichtungsklage ist nicht mehr statthaft, wenn der Erlass eines (neuen) vorläufigen Leistungsbescheides nicht mehr rechtmäßig wäre, dh die Voraussetzung des § 328 Abs 1 S 1 Nr 3 SGB 3 für den streitigen Zeitraum nicht mehr vorliegen.
2. Erledigt sich das primäre Rechtsschutzbegehren aus den genannten Gründen, so kann gem § 131 Abs 1 S 3 SGG analog das Begehren mit einer Fortsetzungsfeststellungsklage weiter verfolgt werden. Dies bedeutet, die Verpflichtungsklage kann dabei gem § 99 Abs 3 Nr 2 SGG zu einer Fortsetzungsfeststellungsklage werden, ohne dass eine Klageänderung vorliegt.
3. Die Ermächtigung des Grundsicherungsträgers gem § 11 SGB 2 iVm § 2 Abs 3 S 1 AlgIIV 2008 bei schwankendem Einkommen ein monatliches Durchschnittseinkommen zu berücksichtigen erfordert ihrem Zweck nach gem § 39 Abs 1 SGB 1 eine Ermessensentscheidung zugunsten eines Durchschnittseinkommens, in die ua Gesichtspunkte wie die Länge des Bewilligungsabschnitts, die Höhe der voraussichtlichen Schwankungen, die Notwendigkeit der Bedarfsdeckung aber auch die Gewährleistung eines angemessenen Verwaltungsaufwands mit ua Vermeidung des Wechsels von Transfersystemen einzustellen sind.
4. Bei der vorläufigen Leistungsbewilligung ist die Vorschrift des § 2 Abs 3 S 2 AlgIIV 2008 so zu verstehen, dass als monatliches Durchschnittseinkommen für jeden Monat im Bewilligungszeitraum der Teil des Einkommens zu berücksichtigen ist, der sich bei der Teilung des zu erwartenden Gesamteinkommens im Bewilligungszeitraum durch die Anzahl der Monate im Bewilligungszeitraum ergibt. Diese Auslegung der Vorschrift entspricht auch der Sinn der Regelung, die es ermöglicht, abweichend von einer monatsgenauen Erfassung von Einkommen auf Durchschnittseinkommen abzustellen. Hierdurch wird zum einen für den Hilfebedürftigen eine Planbarkeit der ihm im Bewilligungszeitraum zur Verfügung stehenden Mittel erzielt, zum anderen ein durch Unterdeckungen bzw Überzahlungen erhöhter Verwaltungsaufwand vermieden. Zu prüfen wird stets sein, ob die Umstände des Einzelfalls eine abweichende Annahme erfordern. Andere und/oder weitere Kriterien sind heranzuziehen, wenn der vorige Bewilligungsabschnitt den künftigen Bewilligungsabschnitt aufgrund von Besonderheiten nicht ausreichend widerspiegelt.
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 06.04.2011 geändert. Es wird festgestellt, dass die im Bescheid vom 01.12.2009 in der Fassung des Bescheides vom 05.01.2010, diese in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.04.2012, vorgenommene Feststellung des zu berücksichtigenden Einkommens des Ehemannes der Klägerin rechtswidrig war.
Der Beklagte trägt die erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin in beiden Instanzen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit einer vorläufigen Leistungsfestsetzung nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) im Zeitraum von Januar bis Juni 2010. Konkret ist die vom Beklagten vorgenommene Festlegung des zu berücksichtigenden (schwankenden) Einkommens des Ehemannes der Klägerin streitig.
Die 1978 geborene Klägerin bezieht in Bedarfsgemeinschaft mit ihrem 1977 geborenen Ehemann Q E und dem 2005 geborenen gemeinsamen Sohn G E vom Beklagten Leistungen nach dem SGB II. Der Ehemann der Klägerin erzielt in variierender Höhe Erwerbseinkommen aus einem sozialversicherungsrechtlichen Beschäftigungsverhältnis in einer Alten-, Kranken- und Pflegeeinrichtung in T.
Mit Bescheid vom 01.12.2009 und Änderungsbescheid vom 05.01.2010 bewilligte der Beklagte der Bedarfsgemeinschaft für den Zeitraum von Januar bis Juni 2010 vorläufige Leistungen in Höhe von 208,50 Euro (§ 40 Abs. 1 Nr. 1a SGB II in der Fassung des Gesetzes zur Neufassung der Freibetragsregelungen für erwerbsfähige Hilfebedürftige - Freibetragsneuregelungsgesetz - vom 14.08.2005, BGBl I, 2407 i.V.m. § 328 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 Drittes Buch Sozialgesetzbuch - SGB III). Dabei berücksichtigte er als Nettoerwerbseinkommen des Ehemannes der Klägerin einen monatlichen Betrag von 1.150,00 Euro. Den gegen den Bescheid vom 05.01.2010 gerichteten Widerspruch der Klägerin vom 19.01.2010 wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 12.04.2010 zurück. Er führte aus, dass als Einkommen gem. § 2 Abs. 3 der Verordnung zur Berechnung von Einkommen sowie zur Nichtberücksichtigung von Einkommen und Vermögen beim Arbeitslosengeld II/Sozialgeld (Alg II-V) vom 17.12.2007 (BGBl I, 2942) ein monatliches Durchschnittseinkommen zu Grunde gelegt werden könne, ...