Entscheidungsstichwort (Thema)
sozialgerichtliches Verfahren. Übergangsrecht. Anwendbarkeit. neues Recht. Berufskrankheit. gesetzliche Vermutung. haftungsausfüllende Kausalität. Anscheinsbeweis
Orientierungssatz
1. § 9 Abs 3 SGB 7 ist gem § 214 Abs 4 SGB 7 hinsichtlich der vor dem Tag des Inkrafttretens des SGB 7 eingetretenen Versicherungsfälle anwendbar, da es sich um eine Kodifizierung des Anscheinbeweises handelt, welcher zur Beweiswürdigung und damit zum Verfahrensrecht gehört.
2. Die Grundsätze des Anscheinsbeweises sind nur dann ohne weiteres anzuwenden, wenn in der betreffenden Berufskrankheit die Tatbestandsvoraussetzungen so genau definiert sind, daß bei deren Vorliegen typischerweise vom ursächlichen Zusammenhang auszugehen ist. Dies ist aber nach den gegenwärtigen medizinischen Erkenntnissen hinsichtlich der Versicherten, die die definitionsgemäßen Voraussetzungen der Berufskrankheit nach Nr 2108 der Anlage 1 zur BKVO erfüllen, nicht der Fall.
Tatbestand
Streitig ist, ob bei der Klägerin eine Berufskrankheit nach Nrn 2108 (bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule) oder 2109 (bandscheibenbedingte Erkrankung der Halswirbelsäule) der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BKVO) vorliegt und ihr deshalb Verletztenrente zu zahlen ist.
Die am 1941 geborene Klägerin war von 1955 bis 1961 als Hausgehilfin versicherungspflichtig beschäftigt. Von 1961 bis 1963 absolvierte sie eine Ausbildung zur Krankenpflegerin. Seit dieser Zeit war sie bis 5.5.1994 als Krankenschwester versicherungspflichtig beschäftigt.
Mit Schreiben vom 13.10.1993 beantragte die Klägerin die Anerkennung von Erkrankungen der Hals- und Lendenwirbelsäule als Berufskrankheit ab 1.4.1988. Zur Begründung legte sie eine Reihe von Arztbriefen und ärztlichen Attesten, einen ärztlichen Entlassungsbericht der Rheumaklinik sowie Bescheide des Versorgungsamts Landau vom 15.6.1992 und 11.1.1993 vor. bescheinigte in einem Attest vom 19.10.1993 schwere und weit über die Altersnorm hinausgehende degenerative Veränderungen im unteren Halswirbelsäulen (HWS)- und unteren Lendenwirbelsäulen (LWS) - Bereich. Die Entlassungsdiagnosen der Rheumaklinik Fürstenhof lauteten: "Cervikocranialsyndrom" und "Cervikobrachialsyndrom". Privatdozent Dr. S/Dr. beschrieben in einem Arztbrief vom 13.11.1991 anhand des Röntgenbildes eine deutliche Osteochondrose C 5/6 und eine deutliche Uncovertebralarthrose ebenfalls C 5/6. Der Nervenarzt Dr. diagnostizierte in einem Arztbrief vom 15.10.1992 ein Schulter-Arm-Syndrom links mit einer Wurzel C6-Läsion links und HWS-abhängige Kopfschmerzen. Der Radiologe Dr. kam in der Beurteilung einer CT-Untersuchung vom 15.10.1992 zu dem Ergebnis, es handele sich um eine beginnende Osteochondrose zwischen HWK 5/6 mit Uncovertebralarthrose mit Linksbetonung. Das Versorgungsamt L erkannte durch Bescheide vom 11.1.1993 und 22.11.1993 ein degeneratives Wirbelsäulenleiden, ein Knieleiden beiderseits, ein Hüftleiden beiderseits sowie Durchblutungsstörungen beider Hände, ein Schulter-Arm-Syndrom und ein depressives Syndrom als Behinderungen mit einem GdB von 30 an.
Vom 17.8.1992 bis 2.9.1992 absolvierte die Klägerin eine Kurmaßnahme in den Gasteiner Heilstollen. Der dortige Chefarzt Dr. diagnostizierte im Kurbericht vom 3.10.1994 ein HWS- und LWS-Syndrom, eine Osteoporose, eine Coxarthrose und eine Gonarthrose.
Die Deutsche Angestellten-Krankenkasse (DAK) teilte der Beklagten Zeiten der Arbeitsunfähigkeit wegen LWS-Schulter-Arm-Syndrom vom 20.1.1989 bis 3.2.1989, chronischem HWS-Syndrom vom 9.1.1990 bis 6.2.1990, HWS-LWS-Syndrom vom 18.9.1990 bis 16.10.1990, Cervikobrachialsyndrom vom 17.10.1990 bis 21.10.1990, chronischem LWS-Schulter-Arm-Syndrom vom 11.11.1991 bis 17.11.1991, schwerem degenerativen HWS-Schulter-Arm-Syndrom und LWS-Syndrom vom 28.9.1992 bis 13.12.1992 und Lumboischialgie mit LWS-Wurzelreizung vom 24.8.1993 bis 8.9.1993 mit.
Nach Einholung von Auskünften bei den bisherigen Arbeitgebern der Klägerin legte der Technische Aufsichtsdienst der Beklagten eine Stellungnahme vom 19.1.1995 vor. Er kam aufgrund einer Untersuchung der Arbeitsplatzsituation der Klägerin unter Beteiligung der Klägerin selbst, einer Personalsachbearbeiterin und der stellvertretenden Pflegedienstleiterin des letzten Arbeitgebers der Klägerin sowie eines Reha-Beraters zu dem Ergebnis, die Klägerin sei vom 1.4.1961 bis 5.5.1994 wirbelsäulenbelastend im Sinne der Berufskrankheit nach Nr 2108 der Anlage 1 zur BKVO tätig gewesen.
Der Chirurg Dr. diagnostizierte in einem Gutachten vom 3.4.1995 neben Erkrankungen der Schulter-, Hüft- und Kniegelenke ein leichtes myostatisches Zervikalsyndrom, ein Thorakalsyndrom und ein Lumbalsyndrom mit Wurzelirritation L 5/S 1 rechts. Röntgenmorphologisch beschrieb er im Bereich der Lendenwirbelsäule altersentsprechende Veränderungen bei geringer Intervertebralarthrose sowie Chondrose L 5/S 1 und eine fortgeschrittene, als altersüberdurchschnittlich zu bezeichnende Chondrose und Spondylose bei C 5/C 6. Er bejahte das Vorlie...