Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Ablehnung eines Richters wegen Besorgnis der Befangenheit. Verhalten des Richters während eines Erörterungstermins. Erfordernis der Geltendmachung von Ablehnungsgründen bis zum Ende der Sitzung
Leitsatz (amtlich)
1. Ein Erörterungstermin nach § 106 Abs 3 Nr 7 SGG ist eine Verhandlung iS des § 43 ZPO (Anschluss an BFH vom 13.3.1992 - IV B 172/90).
2. Ablehnungsgründe, die während einer Verhandlung entstehen, müssen bis zu deren Ende geltend gemacht werden (Anschluss an BGH vom 5.2.2008 - VIII ZB 56/07 = NJW-RR 2008, 800).
3. Ein Prozessbeteiligter, der einen - seiner Ansicht nach - im Verhalten eines Richters während eines Erörterungstermins liegenden Ablehnungsgrund nicht bis zum Ende der Sitzung geltend macht, verliert sein Ablehnungsrecht nach § 60 Abs 1 S 1 SGG iVm § 43 ZPO.
4. Druckausübung auf Beteiligte - zB zum Abschluss eines Vergleichs oder zur Annahme eines Anerkenntnisses - begründet erst dann die Besorgnis der Befangenheit, wenn sie in völlig unangemessener Form erfolgt. Hierzu gehören Unmutsäußerungen des Richters erst dann, wenn sie gänzlich unangemessen sind und den Eindruck der Voreingenommenheit erwecken.
Tenor
1. Das Gesuch der Klägerin, den Vorsitzenden der 6. Kammer des Sozialgerichts Speyer, Richter am Sozialgericht L., wegen der Besorgnis der Befangenheit abzulehnen, wird zurückgewiesen.
2. Außergerichtliche Kosten des Verfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
Das Ablehnungsgesuch der Klägerin gegen den Richter am Sozialgericht L. ist unbegründet.
Für die Ausschließung und Ablehnung von Gerichtspersonen gelten nach § 60 Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) u. a. die §§ 41 bis 44 Zivilprozessordnung (ZPO) entsprechend. Nach § 43 ZPO verliert ein Beteiligter das Recht, einen Richter wegen der Besorgnis der Befangenheit abzulehnen, wenn er sich bei ihm, ohne den ihm bekannten Ablehnungsgrund geltend zu machen, in eine Verhandlung eingelassen oder Anträge gestellt hat (§ 43 ZPO).
Die Klägerin hat ihr Ablehnungsrecht daher nach § 60 Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 43 ZPO verloren. Sie hat sich in die Erörterung der Sach- und Rechtslage in dem Erörterungstermin vor dem Sozialgericht Speyer (SG) am 16.06.2009 unter Beteiligung des später abgelehnten Richters eingelassen, ohne Ablehnungsgründe vorzubringen. Ein Erörterungstermin nach § 106 Abs. 3 Nr. 7 SGG ist eine Verhandlung im Sinne des § 43 ZPO (vgl. BFH, Beschluss vom 13.03.1992 - IV B 172/90 -, juris, zu Erörterungsterminen nach § 79 Abs. 2 FGO). Ablehnungsgründe, die während einer Verhandlung entstehen, müssen bis zu deren Ende geltend gemacht werden (BGH, Beschluss vom 05.02.2008 - VIII ZB 56/07 -, NJW-RR 2008, 800; BFH, a. a. O.; Zöller-Vollkommer, ZPO, 27. Auflage 2009, § 43 Rn. 7). Darüber hinaus muss sich der Beteiligte weigern, den Erörterungstermin weiter wahrzunehmen, wenn er sein Ablehnungsrecht nicht verlieren will (BFH, a. a. O.). Denn die Prozessbeteiligten - das Gericht ebenso wie die übrigen Beteiligten - sind nur dann in der Lage, das Geschehen einer mündlichen Verhandlung zuverlässig zu rekonstruieren und zu dokumentieren, wenn sich eine Notwendigkeit, die Erinnerung daran festzuhalten, in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit diesem Geschehen ergibt; dies setzt einen noch in der Verhandlung gestellten Ablehnungsantrag voraus (BGH, a. a. O.).
Die Klägerin hat demgegenüber während des Erörterungstermins - ohne die Verhaltensweise des Richters zu kommentieren - ausweislich der über den Erörterungstermin vom 16.06.2009 gefertigten Niederschrift Erklärungen abgegeben und sich zur Sache eingelassen. Ein Ablehnungsgesuch habe sie erst mit Telefax vom 01.07.2009 - und damit über zwei Wochen nach dem Erörterungstermin - eingereicht. Die Klägerin hatte das Ablehnungsrecht damit verloren.
Unabhängig davon liegen aber auch keine Gründe vor, die die Besorgnis der Befangenheit des Vorsitzenden der 6. Kammer des Sozialgerichts Speyer, Richter am Sozialgericht L., rechtfertigen würden. Nach § 42 Abs. 2 ZPO kann ein Richter wegen der Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen. Maßgeblich ist insoweit, ob ein Beteiligter von seinem Standpunkt aus nach vernünftigen Erwägungen Bedenken gegen die Unparteilichkeit des Richters haben kann. Hierzu zählen insbesondere Verstöße gegen das prozessuale Gleichbehandlungsgebot, die negative Einstellung gegenüber einer Partei unter Bevorzugung der anderen Seite oder die willkürliche Benachteiligung oder Behinderung einer Partei bei der Ausübung ihrer Rechte.
Im vorliegenden Fall sind solche Gründe nicht ersichtlich. Die Klägerin hat u. a. vorgetragen, sie habe dem Sozialgericht Speyer (SG) mehrfach mitgeteilt, dass die Beklagte dem Beschluss des LSG vom 12.12.2008 nicht folge und die Leistung nicht zahle, ohne dass das SG eine Antwort gegeben habe. Der Vorsitzende der 6. Kammer habe lediglich einen Termin vom 16.06.2009 ...