Entscheidungsstichwort (Thema)
soziales Entschädigungsrecht. MdE. Höherbewertung. besonderes berufliches Betroffensein. Verlust des Auges. Beamter
Orientierungssatz
Die Prüfung, ob ein besonderes berufliches Betroffensein iS des § 30 Abs 2 S 2 BVG vorliegt, darf sich nicht ausschlaggebend an den besonderen Verhältnissen des Arbeitsplatzes orientieren, den der Geschädigte in letzter Zeit (hier:als EDV-Spezialist) eingenommen hat; vielmehr sind hierbei die typischen arbeitsmedizinischen Gegebenheiten seines "Berufes" (hier:Beamtentätigkeit in der Laufbahn des gehobenen Dienstes) zu berücksichtigen. Der gehobene Beamtendienst ist jedoch dadurch gekennzeichnet, dass er in großem Umfange über Arbeitsplätze verfügt, auf denen der Verlust der Gebrauchshand - nichts anderes gilt beim Verlust eines Auges - nicht die für eine Höherbewertung wegen eines besonderen beruflichen Betroffenseins notwendigen einschneidenden Erschwernisse mit sich bringt (vgl. BSG vom 30.10.1974 - 9 RV 460/72 = SozR Nr 68 zu § 30 BVG).
Gründe
I. Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Versorgung nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 50 vH wegen Verschlimmerung der anerkannten Schädigungsfolgen sowie unter Berücksichtigung eines besonderen beruflichen Betroffenseins gemäß § 30 Abs. 2 Bundesversorgungsgesetz (BVG).
Der im Jahre 1940 geborene Kläger erlitt im April 1945 beim Spielen mit Munition eine Verletzung am linken Auge, die zur einseitigen Erblindung führte. Mit Bescheid vom 9.10.1951 erkannte das Versorgungsamt als Schädigungsfolge mit einer MdE von 30 vH an:
"Verlust des linken Auges - reizlose Gesichtsnarben."
Grundlage der Anerkennung bildete ein versorgungsärztliches Gutachten von Dr. F. aus Bad K. vom 25.5.1949.
Der berufliche Werdegang des Klägers verlief wie folgt:
Von 1946 bis 1954 besuchte er die Volksschule und absolvierte anschließend von 1959 bis 1962 eine Ausbildung zum Verwaltungsangestellten bei der Gemeindeverwaltung M. Dort war er zunächst als Angestellter und später als Beamter - auch zum jetzigen Zeitpunkt noch - tätig. 1968 legte er die 1. Verwaltungsprüfung und 1973 die 2. Verwaltungsprüfung beim Bezirksprüfungsausschuss K. ab. Zum 1.3.1974 wurde er zum Inspektor ernannt. Die gehobene Beamtenlaufbahn hat der Kläger erfolgreich durchlaufen, bis zum höchsten Beförderungsamt (Oberamtsrat). Zur Zeit ist er als Leiter der Abteilung Haushalt/Finanzen tätig.
Im Juli 1996 stellte er einen Neufeststellungsantrag. Zur Begründung machte er geltend, die von ihm seit 1981 ausgeübte Bildschirmarbeit bereite ihm wegen seiner Einäugigkeit immer mehr Probleme; die Sehkraft seines verbliebenen Auges habe in letzter Zeit erheblich nachgelassen.
Das Versorgungsamt holte daraufhin einen Befundbericht bei Dr. E. aus Bad K. vom 8.8.1996 ein. Der Augenarzt teilte mit, die Sehfähigkeit rechts betrage - nach Korrektur - 1,0. Altersbedingt leide der Kläger an Hyperopie, Presbyopie und Mouches volantes; zusätzlich bestehe eine vermehrte Blendungsempfindlichkeit. Eine spezielle Therapie sei indessen nicht erforderlich.
Nach versorgungsärztlicher Beteiligung lehnte der Beklagte den Antrag mit Bescheid vom 6.12.1996 ab. Ein ursächlicher Zusammenhang der von Dr. E. beschriebenen Veränderungen am rechten Auge mit dem schädigenden Ereignis oder den anerkannten Schädigungsfolgen bestehe nicht.
Im Widerspruchsverfahren wies der Kläger darauf hin, dass er seit seinem 5. Lebensjahr mit einem Auge auskommen müsse. Die Sehschärfe des verbliebenen Auges nehme stetig ab. Auf seinem Arbeitsplatz nehme die Bildschirmarbeit immer mehr zu; seit über 1 1/2 Jahren müsse er sich wegen einer Umstellung der EDV mit zwei Bildschirmen befassen. Spätnachmittags stellten sich starkes Augenbrennen und Beeinträchtigungen durch mehrere dunkle Punkte, Striche und sonstige Erscheinungen im Sehfeld ein. Ihm gehe es nicht um eine höhere Kriegsbeschädigtenrente, sondern um eine frühzeitige Pensionierung zwecks Schonung seines rechten Auges.
Das Versorgungsamt zog ein im Verfahren nach dem Schwerbehindertengesetz erstelltes Gutachten vom 6.2.1997 bei und holte eine Stellungnahme der Versorgungsärztin R. R. vom 7.7.1997 ein. Diese führte aus, es sei bekannt, dass bei intensiver Bildschirmarbeit eine Reizung der Bindehäute auftreten könne, diese sei jedoch nicht Folge der Einäugigkeit, sondern eine persönlichkeitseigene Bereitschaft, auf die angestrengte Bildschirmtätigkeit mit einer solchen Augenreizung zu reagieren. Dies wäre auch bei Beidäugigkeit der Fall, so dass den anerkannten Schädigungsfolgen für diese Symptomatik keine wesentliche Bedeutung zukomme. Der Kläger sei in der Lage, seine Berufstätigkeit trotz seiner anerkannten Schädigungsfolgen ohne außergewöhnliche Tatkraft und Energie auszuüben. Ein besonderes berufliches Betroffensein liege nicht vor.
Gestützt auf diese Stellungnahme lehnte das Versorgungsamt mit Bescheid vom 18.8.1997 die Höherbewertung der MdE gemäß § 30 Abs. 2 BVG ab. Dieser Bescheid wurde Gegenstand des anhängigen Widerspruchsverfahrens.