Entscheidungsstichwort (Thema)

Beschwerde wegen Untätigbleibens des Sozialgerichts. Verfahrensaussetzung im Prozesskostenhilfeverfahren

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Beschwerde gegen das Untätigbleiben eines Sozialgerichts (sog Untätigkeitsbeschwerde) ist zulässig. Das Rechtsmittel ist dann gegeben, wenn der einer Versagung des Rechtsschutzes gleichkommende tatsächliche Verfahrensstillstand oder eine unangemessene Verfahrensverzögerung oder unangemessene Verfahrensdauer substantiiert gerügt werden.

2. Welche Verfahrensdauer konkret angemessen ist und daher die Annahme eines tatsächlichen Verfahrensstillstandes oder einer unangemessenen Verfahrensverzögerung ausschließt, ist nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen.

3. Bei den Verfahren auf Gewährung von Prozesskostenhilfe ist eine Aussetzung nach § 202 SGG iVm §§ 148, 149 ZOP grundsätzlich ausgeschlossen.

 

Tenor

Das Sozialgericht hat über den Antrag des Klägers vom 14.6.1996 auf Gewährung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung der Rechtsanwälte H. M. und M. S., T., binnen zwei Wochen nach Wiedereingang der Gerichtsakten zu entscheiden.

 

Tatbestand

I.

Der Kläger begehrt sinngemäß, das Sozialgericht zu verpflichten, unverzüglich über seinen Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung der Rechtsanwälte H. M. und M. S., T. – im Folgenden: PKH-Antrag –, zu entscheiden.

Am 28.5.1996 hat der Kläger Klage mit dem Antrag erhoben, den Bescheid des Beklagten vom 21.9.1995 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.5.1996 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, bei ihm einen höheren Grad der Behinderung (GdB) als 60 sowie den Nachteilsausgleich „G” anzuerkennen.

Am 14.6.1996 haben die Prozessbevollmächtigten des Klägers beantragt, diesem Prozesskostenhilfe zu bewilligen und sie beizuordnen. Zugleich haben sie die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers (§ 117 Abs. 2 ZPO) vorgelegt.

Zur Begründung des PKH-Antrages haben sie vorgetragen: Bei dem Kläger sei angesichts erheblicher Verletzungen, die er anlässlich eines Arbeitsunfalls am 12.11.1991 erlitten habe und die sich zwischenzeitlich verschlimmert hätten, mindestens ein GdB von 60 sowie der Nachteilsausgleich „G” anzuerkennen. Wegen des Arbeitsunfalls sei bereits ein weiterer Rechtsstreit bei dem Sozialgericht Trier (S 4 U 241/95) rechtshängig.

Mit nicht angefochtenem Beschluss vom 9.7.1996 – S 5 Vs 178/96 – hat das Sozialgericht den Rechtsstreit bis zur Erledigung des Rechtsstreits S 4 U 241/95 ausgesetzt.

Mit Schreiben vom 17.8.1999 teilte das Sozialgericht den Beteiligten mit, der vorliegende Rechtsstreit werde unter dem neuen Aktenzeichen S 5 SB 229/99 fortgeführt.

Am 9.3.2000 haben die Prozessbevollmächtigten des Klägers gebeten, über den PKH-Antrag zu entscheiden. Mit Schreiben vom 10.3.2000 teilte das Gericht den Beteiligten mit, es erwäge, das Verfahren erneut auszusetzen, bis die Feststellungen zur Minderung der Erwerbsfähigkeit in dem weiteren Rechtsstreit S 4 U 24/2000 abgeschlossen seien. Hiervon sei auch die Entscheidung über die PKH-Bewilligung betroffen.

Am 13.3.2000 haben die Prozessbevollmächtigten des Klägers vorgetragen: Die erneute Aussetzung des Rechtsstreits beanstandeten sie nicht. Sie bäten jedoch, über den PKH-Antrag zu befinden. Hierüber könne und müsse schon jetzt entschieden werden. In dem Rechtsstreit S 4 U 24/2000 sei dem Kläger bereits PKH bewilligt worden.

Mit Beschluss vom 16.3.2000 – S 5 SB 229/99 – hat das Sozialgericht den Rechtsstreit bis zur Erledigung des Rechtsstreits S 4 U 24/2000 ausgesetzt. Über den PKH-Antrag des Klägers ist nicht entschieden worden.

Mit Schriftsatz vom 17.3.2000, bei dem Sozialgericht Trier am 20.3.2000 eingegangen, haben die Prozessbevollmächtigten des Klägers gegen die „Nichtentscheidung” über den PKH-Antrag Beschwerde erhoben, sinngemäß beantragt,

das Sozialgericht zu verpflichten, über den Antrag des Klägers vom 14.06.1996 auf Gewährung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung der Rechtsanwälte H. M. und M. S., T., alsbald zu entscheiden,

und zur Begründung auf ihr bisheriges Vorbringen verwiesen.

Das Sozialgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen.

Die Gerichtsakte S 5 SB 229/99 Tr ist Gegenstand der Beratung gewesen.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die Beschwerde ist zulässig und auch begründet.

1. Die Beschwerde gegen das Untätigbleiben des Sozialgerichts auf den PKH-Antrag des Klägers vom 14.6.1996 ist in entsprechender Anwendung des § 172 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässig. Das Rechtsmittel ist auch dann gegeben, wenn der einer Versagung des Rechtsschutzes gleichkommende tatsächliche Stillstand des gerichtlichen Verfahrens oder eine unangemessene Verfahrensverzögerung oder unangemessene Verfahrensdauer substantiiert gerügt wird. Diese Auslegung der Vorschrift geht allerdings über den Wortlaut der Bestimmung hinaus, wonach nur gegen „Entscheidungen” der Sozialgerichte Beschwerde erhoben werden kann. Sie ist jedoch unter dem Blickwinkel des verfassungsrechtlichen Gebots tatsächlich wirksamen Rechtssc...

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