Entscheidungsstichwort (Thema)

Nachteilsausgleich aG. außergewöhnliche Gehbehinderung

 

Orientierungssatz

Ein Schwerbehinderter ist dann nicht außergewöhnlich gehbehindert, wenn er noch in der Lage ist, sich außerhalb seines Kraftfahrzeuges ohne fremde Hilfe mehr als 100 m fortzubewegen, selbst wenn er diese Strecke nur mit einer Stockhilfe oder einer Unterarmstütze zurücklegen kann (ständige Rechtsprechung des Senats).

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten im Berufungsverfahren noch über das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen der Nachteilsausgleiche (NTA) "aG" (außergewöhnliche Gehbehinderung) und "1. Klasse" (Benutzung der 1. Wagenklasse mit Fahrausweis für die 2. Klasse bei Bahnreisen) nach dem Schwerbehindertengesetz (SchwbG).

Bei dem im Jahre 1920 geborenen Kläger stellte das Versorgungsamt zuletzt mit Bescheid vom 1.12.1986 als Behinderungen mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 100 fest:

1. Ausgedehnte Narben am linken Knie, Verkürzung des linken Beines und O-Stellung des linken Beines mit fast völliger Versteifung des linken Kniegelenkes, leichtem Wackelknie, mäßigen Zirkulationsstörungen, Narbe über dem linken Handgelenk mit geringer Bewegungseinschränkung und mehreren kleinen Weichteilstecksplittern, Senk-Spreizfuß beidseits, leichter Knickfuß rechts und geringe Beweglichkeitseinschränkung im linken Fußgelenk. Leichte bis mittelgradige Schwerhörigkeit beider Ohren, links stärker als rechts;

2. coronare Herzleistungsbeeinträchtigung mit Bluthochdruck;

3. degenerative Veränderungen der Wirbelsäule mit Wurzelreizerscheinungen;

4. chronische Leberentzündung;

5. Lungenblähung, chronische Bronchitis;

6. psycho-vegetative Störungen bei allgemeiner Gefäßverkalkung.

Außerdem enthält der Bescheid die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen des NTA "G" (erhebliche Gehbehinderung). Dem Gesamt-GdB lagen Einzel-GdB-Werte von 60, 30, 20, 20, 30 und 20 zugrunde (gutachtliche Stellungnahme vom 25.11.1986).

Im Dezember 1991 beantragte der Kläger die Zuerkennung der NTA "aG", "RF" (Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht), "B" (Notwendigkeit ständiger Begleitung in öffentlichen Verkehrsmitteln) und "1. Klasse".

Das Versorgungsamt holte daraufhin einen Befundbericht des HNO-Arztes Dr M. aus K. vom 23.1.1992 ein, der eine an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit rechts und eine mittelgradige Schwerhörigkeit links diagnostizierte. Der Internist Dr S. (K.) teilte in einem weiteren Befundbericht vom 25.2.1992 mit, der Kläger leide nach einer Gehstrecke von etwa 300 m an Schmerzen in beiden Ober- und Unterschenkeln und im Kniegelenk links. Schließlich zog das Versorgungsamt ein chirurgisches Gutachten von Dr L. vom 2.11.1992 und ein hno-ärztliches Gutachten von Dr M. ebenfalls vom 2.11.1992 bei, welche die Ärzte in einem Neufeststellungsverfahren nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) erstellt hatten.

Nach versorgungsärztlicher Beteiligung stellte der Beklagte mit Bescheid vom 18.1.1993 eine "Schwerhörigkeit" als weitere Behinderung fest. Die Zuerkennung der beantragten NTA lehnte der Beklagte ab.

Im Widerspruchsverfahren übersandte der Kläger eine Stellungnahme von Dr S. vom 16.3.1993, der mitteilte, unter körperlicher Belastung komme es bei dem Kläger zu Schmerzen im linken Knie, Sprunggelenksbereich links sowie zu einem Schwächegefühl des rechten Beines mit Einknicken. Der Beklagte zog sodann Befundberichte des Augenarztes Dr Krekeler vom 28.4.1993 und des Nervenarztes Dr Dr G. bei und veranlaßte eine Begutachtung durch Dr B. aus K. vom Dezember 1993. Der Gutachter bestätigte die bisher vorliegenden Diagnosen und gelangte zu dem Ergebnis, die gesundheitlichen Voraussetzungen der beantragten NTA seien bei dem Kläger nicht erfüllt.

Nach Auswertung dieser Unterlagen durch den Versorgungsarzt Medizinaldirektor K. stellte das Versorgungsamt mit Teilabhilfebescheid vom 13.1.1994 als weitere Behinderung eine "Sehminderung" fest.

Den darüber hinausgehenden Widerspruch wies das Landesversorgungsamt mit Widerspruchsbescheid vom 19.1.1994 zurück. Zur Begründung wird ausgeführt, der Kläger sei weder außergewöhnlich gehbehindert noch auf die Benutzung der 1. Wagenklasse bei Bahnreisen angewiesen. Er sei auch noch in der Lage, an öffentlichen Veranstaltungen in zumutbarer Weise teilzunehmen.

Im hiergegen durchgeführten Klageverfahren vor dem Sozialgericht (SG) Koblenz hat der Kläger zuletzt nur noch die NTA "aG" und "1. Klasse" beantragt.

Das Gericht hat Befundberichte von PrivDoz Dr H. (Universitäts-Augenklinik G.) vom 22.6.1994 und von Prof Dr J. (HNO-Abteilung des Krankenhauses M. K.) vom 13.7.1994 eingeholt. Sodann erstattete Dr H. (Orthopädische Klinik L.) ein Gutachten vom 6.2.1995. Der Sachverständige gelangte zu dem Ergebnis, eine außergewöhnliche Gehbehinderung liege bei dem Kläger nicht vor. Zum Untersuchungszeitpunkt sei das rechte Bein belastbar gewesen. Der Kläger sei auch in der Lage, Gehhilfen zu gebrauchen. Das linke Bein könne als Stelze genutzt werden. Bei optimaler Zurichtung der Hilfsmittel sei aus...

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