Entscheidungsstichwort (Thema)

sozialgerichtlicher Verfahren. Amtsermittlungsgrundsatz. rechtliches Gehör. "spätes Vorbringen". verspätetes Vorbringen. Gesamt-GdB. Berücksichtigung einer Behinderung mit einem GdB von 20

 

Leitsatz (amtlich)

1. Nach dem Amtsermittlungsgrundsatz des § 103 S 1 SGG erforschen die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit den Sachverhalt von Amts wegen. Sie benutzen dabei jedes ihnen bekannte oder bekanntwerdende Beweismittel.

2. Hierbei ist der Grundsatz des rechtlichen Gehörs (§§ 62, 128 Abs 2 SGG, Art 103 Abs 1 GG) zu beachten. Er verlangt auch, dass das Gericht die Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis nehmen und in Erwägung ziehen muß.

3. Ein spätes Vorbringen allein rechtfertigt deshalb nicht die Unterlassung einer weiteren Sachaufklärung oder gar das Unberücksichtigtlassen wegen "verspäteten Vorbringens" durch das Gericht. Die -auch nur sinngemäße- Anwendung der im Zivilprozeß geltenden Regeln über ein verspätetes Vorbringen ist im sozialgerichtlichen Verfahren ausgeschlossen.

 

Orientierungssatz

Bei der Bildung des Gesamt-GdB ist eine kleinere Behinderung mit einem GdB von 20 nur dann zu berücksichtigen, wenn sie sich auf eine andere Behinderung besonders nachhaltig, verstärkend, auswirkt. Unberücksichtigt bleiben kann eine solche Behinderung dann, wenn sich die Auswirkungen völlig oder zum größten Teil überschneiden (vgl LSG Mainz vom 15.10.1998 - L 4 Vs 68/98).

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Höhe des Grades der Behinderung (GdB) des Klägers nach dem Schwerbehindertengesetz.

Der 1939 geborene Kläger beantragte erstmals im Dezember 1994 die Feststellung einer Behinderung und des GdB wegen eines Wirbelsäulenleidens mit ständigen Schmerzen und Ausstrahlung in Arme und Beine sowie Gefühllosigkeit. Das Versorgungsamt Trier holte einen Befundbericht des Orthopäden D ... ein, welcher ein myostatisches Wirbelsäulensyndrom und eine Osteoporose in ganz erheblichem Ausmaß beschrieb. Aufgrund einer gutachterlichen Stellungnahme des Arztes ... stellte das Versorgungsamt Trier mit Bescheid vom 26.01.1995 als Behinderung ein "Wirbelsäulenleiden bei Osteoporose" mit einem GdB von 20 fest.

Den Widerspruch des Klägers, den dieser nicht begründet hatte, wies der Beklagte ohne weitere Ermittlung mit Widerspruchsbescheid vom 30.06.1995 zurück.

Im vor dem Sozialgericht Trier durchgeführten Klageverfahren hat der Kläger eine fachärztliche Bescheinigung des D vorgelegt. Dieser hat mitgeteilt, beim Kläger liege die schlimmste Osteoporose vor, die er jemals bei einem Mann dieser Altersklasse habe beobachten können. Wegen der absoluten Leistungsschwäche der Wirbelsäule bzw. des Achsenorgans und der Minderbelastbarkeit sei ein GdB von 40 anzunehmen. Jeglicher handwerklicher Beruf, der mit Heben und Tragen von über 10 kg regelmäßig einher gehe, sei für den Kläger nicht mehr ausführbar. Auch Berufe, bei denen eine erhöhte Fallneigung auf unebenem Gelände bestände, seien nicht ausführbar.

Zusätzlich hat der Kläger ein ärztliches Attest des HNO-Arztes D vorgelegt; danach bestehe ein Hörverlust beidseits von 20 vH, weshalb unter Berücksichtigung eines Tinnitus rechts ein GdB von 15 anzunehmen sei. Zudem hat der Kläger eine augenärztliche Bescheinigung des D vorgelegt, wonach bei ihm eine Sehschärfe von rechts 0,9 und links 0,4 gegeben sei, die durch Gläser nicht ausgeglichen werden könne.

Das Sozialgericht hat Beweis erhoben auf Antrag des Klägers nach § 109 SGG durch Einholung eines Gutachtens des Arztes für Orthopädie und Rheumatologie Prof. D

Der Sachverständige hat den Kläger im Oktober 1996 untersucht und ist zusammenfassend zu dem Ergebnis gelangt, beim Kläger bestehe eine fortgeschrittene Osteoporose, welche nicht nur die Wirbelsäule betreffe, sondern als generalisiert zu bezeichnen sei. Sowohl im Bereich der Lendenwirbelsäule als auch der Hüfte sei die Knochendichte um mehr als den Faktor 2 der Standardabweichung erniedrigt. Neben den osteoporotischen Veränderungen beständen Hinweise auf ein Fibromyalgiesyndrom mit Funktionsbeeinträchtigung der Schultergelenke und der Hüften. Die generalisierte fortgeschrittene Osteoporose mit erhöhter Knochenbrüchigkeit und generalisierter Minderbelastbarkeit des Skelettsystems bedingten einen GdB von 40, eine chronische Periarthrosis humero scapularis beidseits mit Funktionsbeeinträchtigung beider Schultergelenke einen GdB von 20, eine chronische Trochanter-Tendopathie linksseitig einen GdB von 10 und Knick-Senk-Spreizfüße mit Belastungsschmerzen einen GdB von 10. Der Gesamt-GdB sei vorwiegend aufgrund der generalisierten Osteoporose mit 40 zu bewerten.

Der Beklagte hat u.a. eine versorgungsärztliche Stellungnahme des D vorgelegt und sich im Wege eines Teil-Anerkenntnisses bereit erklärt, den GdB mit 30 zu bewerten und die Teil-Behinderungen wie folgt zu bezeichnen:

1.

Abgeheilter Morbus Scheuermann im Bereich der BWS und LWS mit flacher S-förmiger Skoliose, degenerative Veränderungen, Osteoporose, rezidivierende Nerven- und Muskelreizerscheinungen (GdB 30),

2.

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