Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsatz des fairen Verfahrens. rechtliches Gehör. Anwesenheit Dritter bei der Begutachtung durch ärztliche Sachverständige

 

Leitsatz (amtlich)

Der generelle Ausschluss eines Rechtsanwalts von der Untersuchung eines Klägers durch einen vom Gericht bestellten ärztlichen Sachverständigen ist mit den Grundsätzen der Parteiöffentlichkeit der Beweisaufnahme und des fairen Verfahrens unvereinbar, wenn der Kläger die Anwesenheit seines Anwalts oder einer anderen Vertrauensperson wünscht.

 

Tenor

Das Gesuch des Klägers, den Vorsitzenden der 7. Kammer des Sozialgerichts Mainz wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen, wird zurückgewiesen.

 

Gründe

Eine Besorgnis der Befangenheit gegenüber dem Vorsitzenden der 7. Kammer des Sozialgerichts Mainz liegt nicht vor. Nach § 42 Absatz 1 Zivilprozeßordnung (ZPO), der gemäß § 60 Absatz 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) im sozialgerichtlichen Verfahren entsprechend anzuwenden ist, ist die Befangenheit eines Richters dann zu besorgen, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen. Es muß allerdings ein objektiv vernünftiger Grund gegeben sein, der den Beteiligten auch von seinem Standpunkt aus befürchten lassen kann, der Richter werde nicht unparteiisch sachlich entscheiden. Eine rein subjektive, unvernünftige Vorstellung ist unerheblich. Die Ablehnungsgründe sind glaubhaft zu machen, sofern sie nicht offenkundig sind (§ 44 Absatz 2 ZPO).

Vorliegend sind objektive Anhaltspunkte, die ein Mißtrauen hinsichtlich der Unparteilichkeit des Vorsitzenden der 7. Kammer des Sozialgerichts Mainz begründen könnten, aus der maßgeblichen Sicht eines Außenstehenden und Dritten nicht erkennbar.

Entgegen der Vermutung des Klägers sind Absprachen zwischen dem Vorsitzenden der 7. Kammer des Sozialgerichts Mainz und dem von diesem bestellten Sachverständigen Dr. D. über die Untersuchung des Klägers nicht belegt. Der angelehnte Richter hat vielmehr in seiner dienstlichen Erklärung vom 14.02.2006 ausgeführt, dass es solche Absprachen nicht gebe. Das Nichtbestehen evtl. Absprachen, die über die gebotenen schriftlichen Hinweise des Gerichts an den Sachverständigen zur Durchführung der Begutachtung (§§ 202 SGG; 404 a ZPO) hinausgehen, war aus objektiver Sicht eines Außenstehenden schon daraus zu erkennen, dass der Sachverständige in seinem ersten Telefax vom 01.12.2005 beim Gericht ausdrücklich danach gefragt hat, wie er sich auf den Wunsch des Prozessbevollmächtigten zur Anwesenheit bei der Untersuchung des Klägers verhalten solle.

Über den Ablehnungsantrag des Klägers gegenüber dem Sachverständigen Dr. D. vom 08.12.2005 hat das Sozialgericht aufgrund der Ablehnung des Vorsitzenden der 7. Kammer des Sozialgerichts Mainz noch nicht entscheiden können, woraus keine Besorgnis der Befangenheit folgen kann.

Auch das Hinweisschreiben des Vorsitzenden der 7. Kammer des Sozialgerichts Mainz vom 08.12.2005 begründet keine Besorgnis der Befangenheit. Freilich dürfte die dortige Aussage, es bestehe kein Anwesenheitsrecht des Anwalts des Klägers bei der Untersuchung durch den Sachverständigen, in dieser Allgemeinheit nicht überzeugen, da sie nicht ausreichend die Grundsätze der Parteiöffentlichkeit sowie eines fairen und effektiven Rechtsschutzes (vgl. BSG, Urteil vom 31. Juli 2002 - B 4 RA 28/02 R) berücksichtigen.

Denn der Anspruch auf rechtliches Gehör umfasst das Recht des vor Gericht stehenden Bürgers darauf, vor Erlass einer Entscheidung mit seiner Auffassung zur Sach- und Rechtslage gehört zu werden; er erschöpft sich darin aber nicht. Vielmehr beinhaltet er eine Reihe von einfachrechtlich geregelten prozessualen Grundsätzen. Dazu zählen die Normen über das Beweisverfahren im SGG und der über § 202 SGG anwendbaren Zivilprozessordnung (ZPO), die insbesondere den Grundsatz der Parteiöffentlichkeit der Beweisaufnahme umfassen. So ist es nach § 357 Abs. 1 ZPO der Partei gestattet, einer Zeugenvernehmung beizuwohnen. Dieses Anwesenheits- und Fragerecht bei der Zeugenbeweisaufnahme ist eines der wichtigsten Parteirechte und ein direkter Anwendungsfall des Art. 103 Abs. 1 GG (BVerwG, NJW 1980, 900 ; OLG Hamm, MDR 1986, 766 ; OLG Schleswig, NJW 1991, 303, 304). Die Bestimmung des § 357 ZPO ist nach § 402 ZPO für den Sachverständigenbeweis entsprechend anzuwenden. Hiervon kann nach der Rechtsprechung in bestimmten Fallkonstellationen eine Ausnahme zu machen sein, etwa in Sorgerechtssachen (z.B. OLG Stuttgart, MDR 2003, 172). Eine ähnliche Ausnahme mag bei einer körperlichen Untersuchung einer Partei bzw. eines Beteiligten im sozialgerichtlichen Verfahren unter dem Gesichtspunkt des Grundrechts der Würde des Menschen (Art. 1 GG) gelten (so OLG München, NJW-RR 1991, 896). Dennoch hat der Sachverständige auch in diesen Fällen den Grundsatz des fairen Verfahrens zu beachten.

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