Verfahrensgang

SG Koblenz (Beschluss vom 15.06.1993; Aktenzeichen 11 Ar 234/92)

 

Tenor

Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluß des Sozialgerichts Koblenz vom 15.6.1993 insoweit aufgehoben, als Rechtsanwalt G., K., zum besonderen Vertreter des Klägers bestellt worden ist.

 

Tatbestand

I.

Streitig ist, ob das Sozialgericht für den Kläger zu Recht nach § 72 SGG einen besonderen Vertreter bestellt hat.

In der Hauptsache streiten die Beteiligten vor dem Sozialgericht Koblenz darüber, ob der Anspruch des Klägers auf Arbeitslosenhilfe nach § 105 a Abs. 2 Satz 3 AFG ruht (Bescheid des Arbeitsamtes Neuwied vom 6.5.1992 und Widerspruchsbescheid vom 29.6.1992).

Aufgrund der nach der Klageerhebung durchgeführten Auswertung medizinischer und sonstiger Unterlagen zum Gesundheitszustand des Klägers entstanden beim Sozialgericht Zweifel an dessen Prozeßfähigkeit. Es ordnete daher durch Beweisbeschluß eine nervenärztliche Begutachtung des Klägers aufgrund ambulanter Untersuchung an.

Das gegen den zum Sachverständigen bestellten Dr. S. gerichtete Ablehnungsgesuch des Klägers wies das Sozialgericht zurück.

Der Kläger erschien dennoch nicht beim Sachverständigen. Daraufhin änderte das Sozialgericht seinen Beweisbeschluß dahin ab, daß das Gutachten nach Lage der Akten erstattet werden solle.

In seinem schriftlichen Gutachten hat der Sachverständige mitgeteilt, der Kläger sei aufgrund einer schizophrenen Psychose nicht mehr in der Lage, seine Angelegenheiten selbst zu besorgen; eine freie Willensbetätigung sei krankheitsbedintgt nicht möglich.

Der Kläger hat seine Geschäftsunfähigkeit bzw Prozeßunfähigkeit weiterhin bestritten und auch Einwände gegen die Verwertbarkeit des Gutachtens erhoben.

Während des Rechtsstreits hat das Amtsgericht Neuwied für den Kläger eine Betreuung durch die Kreisverwaltung N. eingerichtet. Gegen diese Entscheidung hat der Kläger Beschwerde eingelegt. Die Entscheidung über die Beschwerde liegt bisher nicht vor. Der Aufgabenkreis des Betreuers wurde vom Amtsgericht wie folgt umschrieben: die Sorge für die Gesundheit des Betroffenen, die Aufenthaltsbestimmung einschließlich der Entscheidung über die Unterbringung und die Entscheidung über unterbringungsähnliche Maßnahmen sowie die Vermögenssorge.

Das Sozialgericht und die Kreisverwaltung waren übereinstimmend der Auffassung, daß aufgrund der angeordneten Vermögenssorge nicht zugleich auch eine Vertretungsbefugnis für das sozialgerichtliche Verfahren bestehe. Das Sozialgericht hat dem Kläger deshalb mit Schreiben vom 8.6.1993, abgesandt am 11.6.1993, mitgeteilt, es beabsichtige, ihm für das Klageverfahren gemäß § 72 SGG einen besonderen Vertreter zu bestellen. Mit Beschluß vom 15.6.1993 hat die Vorsitzende sodann Rechtsanwalt G. aus K. zum besonderen Vertreter des Klägers bestellt. Gleichzeitig hat es dem Kläger Prozeßkostenhilfe bewilligt.

Der am 7.7.1993 vom Kläger persönlich eingelegten Beschwerde gegen die Bestellung eines besonderen Vertreters hat das Sozialgericht nicht abgeholfen.

Der Kläger trägt vor, die Bestellung des besonderen Vertreters sei ein so erheblicher Eingriff in seine Rechtsstellung, daß er ihr nicht zustimmen könne. Er sei nachweislich genetisch gesund und keineswegs geschäftsunfähig. Das psychiatrische Gutachten des Dr. S. sei genauso unzutreffend wie die Stellungnahme des Gesundheitsamtes N. die zur Einrichtung der Betreuung geführt habe.

Die Beklagte hält den angefochtenen Beschluß für zutreffend.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die Beschwerde ist zulässig.

Sie ist gemäß § 172 Abs. 1 SGG statthaft, denn die Bestellung eines, besonderen Vertreters ist nicht nur eine prozeßleitende Verfügung im Sinne des § 172 Abs. 2 SGG, sondern stellt eine Maßnahme dar, die in die prozeßrechtliche Stellung des betroffenen Beteiligten unmittelbar eingreift (herrschende Meinung, vgl Meyer-Ladewig, SGG, 4. Aufl, § 72 RdNr. 4 m.w.N.).

Ob der Kläger tatsächlich geschäftsunfähig ist, kann bei der Prüfung der Zulässigkeit der vorliegenden Beschwerde dahinstehen, denn er ist jedenfalls insoweit als prozeßfähig zu behandeln, als der Streit gerade die Frage der Prozeßfähigkeit betrifft (vgl BSG, Urteil vom 5.5.1993 – 9/9a RVg 5/92; BGH NJW 1966, 2210).

Die Beschwerde ist auch begründet.

Der angefochtene Beschluß hält einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.

Nach § 72 SGG kann der Vorsitzende eines Spruchkörpers für einen nicht prozeßfähigen Beteiligten bis zum Eintritt eines Vormundes, Betreuers oder Pflegers für das sozialgerichtliche Verfahren einen besonderen Vertreter bestellen, dem alle Rechte, außer dem Empfang von Zahlungen, zustehen. Dabei handelt es sich um eine Ermessensentscheidung des zuständigen Vorsitzenden (so schon LSG Rheinland-Pfalz, Breithaupt 1964, 342; vgl auch LSG Niedersachsen, Breithaupt 1976, 60). Aus der Ermessensabwägung muß sich zB ergeben, warum eine andere Verfahrensweise nicht in Betracht kam und nach welchen Grundsätzen der besondere Vertreter ausgesucht worden ist. Diesen Anforderungen genügt der angefochtene Beschluß nicht. Er enthält, obwoh...

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