Entscheidungsstichwort (Thema)
Bestellung eines besonderen Vertreters für einen nicht prozessfähigen Beteiligten ohne gesetzlichen Vertreter durch das Gericht. Fähigkeit zur freien Willensbildung. Beweiswürdigung
Orientierungssatz
1. Für einen nicht prozessfähigen Beteiligten ohne gesetzlichen Vertreter ist nach § 72 Abs. 1 SGG bis zum Eintritt eines Vormunds, Betreuers oder Pflegers für das Verfahren ein besonderer Vertreter zu bestellen, dem alle Rechte zustehen, außer dem Empfang von Zahlungen.
2. Ob konkrete Anhaltspunkte für eine Prozessunfähigkeit bestehen. hat das mit der Sache befasste Gericht von Amts wegen zu ermitteln. Entscheidend kommt es darauf an, ob der Betreffende in der Lage ist, seine Entscheidungen von vernünftigen Erwägungen abhängig zu machen. Dies ist dann nicht mehr der Fall, wenn die Willensbildung nicht auf rationalen Erwägungen beruht, sondern unkontrollierbaren Trieben oder Vorstellungen unterworfen ist (BGH Urteil vom 19. 6. 1970, IV ZR 83/69).
Normenkette
SGG §§ 71, 72 Abs. 1; BGB § 104 Nr. 2
Tenor
Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Sozialgerichts Altenburg vom 28. Januar 2016 aufgehoben.
Die Kostenentscheidung bleibt der Entscheidung in der Hauptsache vorbehalten.
Der Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden.
Gründe
I.
Zwischen den Beteiligten ist in der Hauptsache streitig, ob der Kläger Anspruch auf Höherstufung in die Pflegestufe II bereits ab einem früheren Zeitpunkt als dem 1. Juni 2011 hat.
Gegen den ablehnenden Bescheid der Beklagten vom 23. April 2012 und den Widerspruchsbescheid vom 1. August 2013 hat der Kläger am 2. September 2013 durch seine Anwälte vor dem Sozialgericht Altenburg (SG) Klage erhoben. Das Mandatsverhältnis hat er im August 2014 beendet und sich seither selbst vertreten.
Das SG hat u.a. das im Verfahren Az.: S 28 SB 3802/11 nach Aktenlage erstellte neurologisch-psychiatrische Gutachten des Dr. B. vom 3. April 2013 beigezogen (Diagnosen: u.a. Anpassungsstörung mit depressiven Verstimmungen und herabgesetztem Antrieb). Der Kläger hat sich nach Anhörung zu einer Entscheidung mit Gerichtsbescheid im August 2015 auf Prozessunfähigkeit berufen und auf die Notwendigkeit eines besonderen Vertreters hingewiesen. Daraufhin hat das SG mit Beweisanordnung vom 19. August 2015 Dipl.-Med. L. mit der Erstellung eines Gutachtens zur Frage der Prozessfähigkeit des Klägers beauftragt. Die Begutachtung hat dieser mit der Begründung abgelehnt, dem Gericht lägen alle medizinischen Unterlagen vor, die seine Prozessunfähigkeit belegen würden.
Auf die Anfrage des Vorsitzenden der 15. Kammer vom 10. November 2015 haben die Rechtsanwälte B. und St. mit Schriftsatz vom 18. Dezember 2015 mitgeteilt, sie seien grundsätzlich bereit, das Amt des besonderen Vertreters nach § 72 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zu übernehmen, wenn die Finanzierung sichergestellt sei.
Mit Beschluss vom 28. Januar 2016 hat die Vorinstanz für den Kläger die Geschäftsleiterin des SG, Justizamtfrau N., als besondere Vertreterin bestellt. Es sei von der Prozessunfähigkeit des Klägers auszugehen. Der erwiesenen Prozessunfähigkeit stehe der Fall gleich, dass sich die Prozessfähigkeit bei Zweifeln trotz Ausschöpfung aller Aufklärungsmöglichkeiten nicht klären lasse. Aufgrund des in den Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) e.V. zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit von August 2011 und April 2012 festgestellten eingeschränkten Kritik- und Urteilsvermögens in Verbindung mit den beschriebenen Vorstellungen, verfolgt zu werden, lasse sich Prozessunfähigkeit nicht ausschließen. Dies gelte umso mehr, als sich der Kläger selbst für prozessunfähig halte. Das Gutachten des Dr. B. vom 3. April 2013 sei nicht geeignet, die bestehenden Zweifel auszuräumen, da es nach Aktenlage erstellt sei. Die Zweifel würden verstärkt durch die Einschätzung des Dr. A. vom Oktober 2013 (richtig: 5. Juni 2014), wo dieser eine Suizidgefahr wegen chronischer Depressionen und Verhandlungsunfähigkeit annehme. Auch die weitere Voraussetzung, das Fehlen eines gesetzlichen Vertreters, sei gegeben.
Ebenfalls mit Beschluss vom 28. Januar 2016 hat die 2. Kammer des SG im Verfahren Az.: S 2 R 3652/05 die Geschäftsleiterin, Justizamtfrau N., als besondere Vertreterin bestellt.
Mit identischen Schreiben vom 12. Februar 2016 hat der Kläger gegen die Beschlüsse der 2. (Az.: L 6 R 247/16 B) und 15. Kammer (Az.: L 6 P 248/16 B) beim Thüringer Landessozialgericht (LSG) Beschwerde erhoben. Er sei prozessunfähig und ein Pflegefall. Ein besonderer Vertreter müsse seine Interessen vertreten. Aufgrund seiner Erfahrungen müsse er die vom SG als besondere Vertreterin bestellte Mitarbeiterin des SG ablehnen. Die Finanzierung des angefragten Rechtsanwaltes St. als besonderer Vertreter sei gesichert.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
den Beschluss des Sozialgerichts Altenburg vom 28. Januar 2016 abzuändern und Rechtsanwalt Th. St., …, als besonderen Vertreter nach § 72 SGG zu bestellen.
Die...