Verfahrensgang
SG Mainz (Beschluss vom 18.06.1990; Aktenzeichen S 6 Ar 105/90) |
Tenor
Der Beschluß des Sozialgerichts Mainz vom 18.6.1990 wird aufgehoben. Der Rechtsstreit wird zur Entscheidung über den Antrag des Klägers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand an das Sozialgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
I.
Streitig ist, ob dem Kläger nach Versäumung der Klagefrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren ist.
Die Beklagte bewilligte dem Kläger, der bis zum 31.7.1980 als Taxifahrer beschäftigt war, durch Bescheid vom 2.3.1983 nachträglich die Förderung der Teilnahme an einer Maßnahme der beruflichen Fortbildung (Kraftfahrer Klasse II und Personenbeförderungsschein). Während dieser Maßnahme erhielt er in der Zeit vom 9.3. bis 21.4.1981 Unterhaltsgeld (Uhg). Am 21.12.1988 sprach er bei der Beklagten vor und machte ua noch einen Restanspruch auf Uhg bis zum 21.5.1981 geltend. Am 22.4.1981 habe er die mündliche Prüfung nicht bestanden und am 21.5.1981 an einer Wiederholungsprüfung teilgenommen. Aus gesundheitlichen Gründen sei er nicht dazu in der Lage gewesen, vor dem 21.12.1988 den Restanspruch zu erheben.
Durch Bescheid vom 26.1.1989 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Den Widerspruch wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 27.6.1989 zurück. Der an die Wohnanschrift des Klägers adressierte Widerspruchsbescheid wurde am 28.6.1989 durch Niederlegung bei der Post zugestellt.
Am 26.4.1990 hat der Kläger gegen den Bescheid vom 26.1.1989 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 27.6.1989 Klage erhoben und zugleich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Nach einem der Klageschrift in Ablichtung beigefügten Entlassungsschein der Justizvollzugsanstalt F. befand er sich – unterbrochen durch eine stationäre Krankenhausbehandlung – ua in der Zeit vom 15.6.1989 bis zum 26.3.1990 in Haft. Der Kläger begründete seinen Wiedereinsetzungsantrag damit, daß sein 13-jähriger Sohn, der nicht in seiner Wohnung, sondern in einem anderen Stadtteil wohne, ab und zu seine Wohnung aufgesucht und den Briefkasten geleert habe. Sein Sohn habe die Post bis zur Haftentlassung des Klägers gesammelt und für ihn aufgehoben. Er habe wichtige von unwichtiger Post nicht unterscheiden können. Nach Ostern 1990 habe er dem Kläger die eingegangenen Briefe gebündelt übergeben. Erst zu diesem Zeitpunkt habe er Kenntnis von dem Widerspruchsbescheid nehmen können.
Nach Anhörung der Beklagten hat das Sozialgericht durch die Kammervorsitzende ohne Hinzuziehung ehrenamtlicher Richter am 18.6.1990 beschlossen, daß der Wiedereinsetzungsantrag abgelehnt wird. Der Kläger habe damit rechnen müssen, daß während der Haftzeit über den Widerspruch entschieden würde. Deshalb hätte er der Beklagten Mitteilung über den Haftort machen müssen. Er sei nicht ohne Verschulden daran gehindert gewesen, die Klagefrist einzuhalten.
Gegen den am 28.6.1990 zugestellten Beschluß hat der Kläger am 27.7.1990 Beschwerde eingelegt.
Die Vorsitzende hat der Beschwerde nicht abgeholfen.
Entscheidungsgründe
II.
Die Beschwerde ist statthaft. (§ 172 Sozialgerichtsgesetz – SGG –), fristgerecht eingelegt (§ 173 SGG) und im übrigen zulässig. Sie ist insoweit begründet, als der angefochtene Beschluß aufzuheben und die Streitsache zur Entscheidung über den Wiedereinsetzungsantrag an das Sozialgericht zurückzuverweisen ist.
Der Beschluß, mit dem die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand versagt wird, bedarf der Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter, wenn die Entscheidung über die versäumte Rechtshandlung nur mit Beteiligung der ehrenamtlichen Richter erfolgen kann (so auch: LSG Niedersachsen, Breith. 1971, 244; Bayer. LSG, Breith. 1976, 521; Breith. 1983, 1017; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 9. Aufl, S 238 1).
Gemäß § 67 Abs. 4 Satz 1 SGG entscheidet das Gericht, das über die versäumte Rechtshandlung zu befinden hat, auch über den Wiedereinsetzungsantrag. Versäumte Rechtshandlung ist vorliegend die fristzeitige Klage gewesen. Da das Sozialgericht zur Entscheidung über die Klage in erster Instanz sachlich zuständig ist (§ 8 SGG), hat es auch über den gleichzeitig mit der Klage angebrachten Wiedereinsetzungsantrag zu entscheiden.
Das Verfahren über den Antrag auf Wiedereinsetzung ist mit dem Verfahren über die nachgeholte Prozeßhandlung zu verbinden (§ 202 SGG i.V.m. § 238 Abs. 1 Satz 1 Zivilprozeßordnung – ZPO –). Das Gericht kann jedoch – wie hier – das Verfahren zunächst auf die Verhandlung und Entscheidung über den Antrag beschränken (§ 238 Abs. 1 Satz 2 ZPO).
Die demnach zulässige Vorabentscheidung über den Wiedereinsetzungsantrag (vgl auch Meyer-Ladewig, SGG, 3. Aufl, § 67 RdNr. 17) kann durch Beschluß erfolgen.
Zwar wird zur Wiedereinsetzungsvorschrift des § 60 Verwaltungsgerichtsordnung –VwGO– (vgl insbesondere Abse 4, 5), die im wesentlichen § 67 SGG entspricht, in der allgemeinen Verwaltungsgerichtsbarkeit wohl überwiegend die Rechtsmeinung vertreten, die Form der Wiedereinsetzungsentscheidung richte sich nach den Vorschriften, die für die nachgeholte Handlung (hier...