Entscheidungsstichwort (Thema)
Entscheidungsform bei Wiedereinsetzungsantrag nach § 67 SGG
Leitsatz (amtlich)
§ 67 Abs. 4 Satz 2 SGG ist keine generelle Befugnis zu entnehmen, vorab über einen Wiedereinsetzungsantrag im Wege des Beschlusses zu entscheiden.
Tenor
Der die Wiedereinsetzung ablehnende Beschluss des Sozialgerichts Dresden vom 3. November 2020 wird aufgehoben.
Gründe
I.
Die Klägerin wendet sich gegen einen Beschluss, mit dem ihr Antrag auf Wiedereinsetzung in die versäumte Klagefrist gesondert zurückgewiesen worden ist.
Die Klägerin hat am 6. Mai 2020 eine Klage erhoben, die gegen einen Bescheid vom 23. Januar 2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. März 2020 gerichtet ist.
Mit Schreiben vom 15. Mai 2020 hat sie vorsorglich einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gestellt, weil nicht ausgeschlossen sei, dass die Klagefrist versäumt worden sei. Sie sei psychisch krank und habe sich im Zeitpunkt des Zugangs des Widerspruchsbescheides kurz vor einem Klinikaufenthalt befunden. Die psychische Erkrankung habe dazu geführt, dass sie nicht in der Lage gewesen sei, rechtzeitig Klage zu erheben, wofür Sachverständigenbeweis angeboten werde.
Der Beklagte hat der Wiedereinsetzung unter Angabe von Gründen widersprochen.
Mit Beschluss vom 3. November 2020 hat das Sozialgericht, handelnd durch seinen Präsidenten als Vorsitzenden der 1. Kammer, ohne Beteiligung ehrenamtlicher Richter und ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung den Antrag der Klägerin, ihr hinsichtlich der verabsäumten Klagefrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, zurückgewiesen. Wiedereinsetzung nach § 67 SGG sei nicht zu gewähren, weil nicht davon ausgegangen werden könne, dass die Klägerin die Klagefrist unverschuldet versäumt hat, was näher begründet wurde. Es wurde auf das Rechtsmittel der Beschwerde belehrt.
Gegen den am 10. November 2020 zugestellten Beschluss hat die Klägerin am 10. Dezember 2020 Beschwerde eingelegt. Der Beschluss sei überraschend und unter Verstoß gegen den Amtsermittlungsgrundsatz erlassen worden, was näher ausgeführt wurde.
Ein konkreter Antrag wurde nicht formuliert.
Der Beklagte beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Er hält den ergangenen Beschluss inhaltlich für zutreffend.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte Bezug genommen.
II.
Die Beschwerde ist statthaft und auch sonst zulässig (vgl. unten 1.) und begründet (vgl. unten 2.).
1. Nach § 172 Abs. 1 SGG findet gegen Entscheidungen der Sozialgerichte mit Ausnahme der Urteile und gegen Entscheidungen der Vorsitzenden dieser Gerichte die Beschwerde an das Landessozialgericht statt, soweit nicht in diesem Gesetz anderes bestimmt ist.
Vorliegend hat das Sozialgericht im Wege eines gesonderten Beschlusses abschlägig über einen die Klagefrist betreffenden Wiedereinsetzungsantrag entschieden, so dass - unabhängig von der Frage der Zulässigkeit dieses Vorgehens - grundsätzlich das Rechtsmittel der Beschwerde eröffnet ist.
§ 172 Abs. 2 SGG, wonach prozessleitende Verfügungen nicht mit der Beschwerde angefochten werden können, ist nicht einschlägig, weil es sich nicht um eine prozessleitende Verfügung handelt. Dies folgt bereits aus § 67 Abs. 4 Satz 2 SGG, wonach ein Beschluss, der eine Wiedereinsetzung bewilligt, unanfechtbar ist. Denn dieser Norm bedürfte es nicht, wären Entscheidungen über Wiedereinsetzungsanträge prozessleitende Verfügungen und damit generell einer Beschwerde entzogen. Das Ergebnis ergibt sich aber auch aus dem Inhalt von Wiedereinsetzungsentscheidungen nach § 67 SGG, die ausschließlich gesetzliche Verfahrensfristen betreffen. Denn mit der Entscheidung über die Wiedereinsetzung wird regelmäßig über die Zulässigkeit eines Rechtsmittels entschieden, was über nur vorbereitende bzw. das Verfahren leitende Verfügungen hinausgeht, weil es die Entscheidung über den Streitgegenstand unmittelbar betrifft (so auch Schmidt, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Auflage 2020, § 172, Rdnr. 3).
Da § 67 Abs. 4 Satz 2 SGG nur bewilligende Wiedereinsetzungsentscheidungen einer Anfechtbarkeit entzieht, ist die Beschwerde vorliegend nicht ausgeschlossen.
Die Beschwerde ist im Übrigen form- und fristgerecht im Sinne des § 173 SGG eingelegt worden und damit zulässig.
2. Die Beschwerde ist im Sinne der Aufhebung des Beschlusses des Sozialgerichts auch begründet. Das Sozialgericht hätte die Wiedereinsetzung nicht in der Form eines Beschlusses des Vorsitzenden ablehnen dürfen.
Nach § 67 Abs. 4 Sätze 1 und 2 SGG entscheidet über den Wiedereinsetzungsantrag das Gericht, das über die versäumte Rechtshandlung zu befinden hat, wobei der Beschluss, der die Wiedereinsetzung bewilligt, unanfechtbar ist. Der Senat vermag der Norm des § 67 Abs. 4 Satz 2 SGG - entgegen einer auch vertretenen Meinung in Rechtsprechung und Literatur (vgl. nur LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 25. Januar 1983, L 5 Ar 146/82 B, juris) - keine generelle (von dem Erfolg des Wiedereinsetzungsantrages unabhängig...