Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Hilfsmittelvertrag. ermäßigter Steuersatz bei der Vergütung von Sondennahrung. Verfassungsmäßigkeit
Leitsatz (amtlich)
Für Sondennahrung gilt nicht der normale, sondern der ermäßigte Umsatzsteuersatz.
Orientierungssatz
1. Für Sondennahrung gilt beim Anspruch des Leistungserbringers auf Zahlung der Vergütung der ermäßigte Steuersatz in Höhe von sieben Prozent.
2. Eine verfassungskonforme Auslegung der Bestimmungen des UStG zwingt zur Einbeziehung der Sondennahrung in den Bereich des ermäßigten Umsatzsteuersatzes.
Nachgehend
Tenor
1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 7.12.2005 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten beider Instanzen.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte verpflichtet ist, auf die von der Klägerin an Versicherte der Beklagten gelieferte Sondennahrung, abweichend von dem bis zum 30.6.2003 berechneten ermäßigten Mehrwertsteuersatz von 7 vH, ab dem 1.7.2003 den Regelsteuersatz von 16 vH an die Klägerin zu zahlen.
Die Klägerin versorgt auf entsprechende ärztliche Verordnung Versicherte der Beklagten mit Sondennahrung und stellt diese der Beklagten in Rechnung. Grundlage ist der zwischen den Beteiligten am 19.06.2000 geschlossene Vertrag.
Darin ist ua geregelt:
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§ 5 |
Die Vergütung richtet sich nach den vereinbarten Preisen (Anlage 1), höchstens jedoch nach den Festbeträgen (§ 33 Abs 2 SGB V). Die vereinbarten Preise sind Höchstpreise. Grundlage der Vergütung ist der Apothekeneinkaufspreis zuzüglich einem Aufschlag von 4 %... |
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Anlage 1 |
Höchstpreisvereinbarung |
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Die vorstehenden Preise enthalten sämtliche Nebenkosten, wie z. B. Beratung, Einweisung und Lieferung in die Wohnung. Die jeweils gültige Mehrwertsteuer kann zusätzlich berechnet werden.
Bis zum 30.6.2003 berechnete die Klägerin den ermäßigten Mehrwertsteuersatz. Im Laufe des Jahres 2003 vertraten das Bundesministerium der Finanzen und die unteren Finanzbehörden die Auffassung, für flüssige Lebensmittelzubereitungen - wozu auch Sondennahrung zähle - gelte der ermäßigte Umsatzsteuersatz nicht, außer wenn die Sondennahrung wegen ihrer sensorischen Eigenschaften nicht unmittelbar trinkbar sei; die bisherige Praxis, für Sondennahrung nur den ermäßigten Steuersatz zu berechnen, könne nur im Rahmen einer Nichtbeanstandungsregelung für Medizinhändler bis zum 31.12.2002 geduldet werden; die nach diesem Zeitpunkt erzielten Umsätze aus der Lieferung von Sondennahrung seien mit dem Regelsatz von damals 16 vH zu versteuern.
Unter Berufung hierauf stellte die Klägerin der Beklagten ab dem 1.7.2003 für Sondennahrung den um den höheren Mehrwertsteuersatz erhöhten Preis in Rechnung. Die Beklagte zahlte jeweils nur den um den Differenzbetrag zwischen dem ermäßigten Mehrwertsteuersatz und dem Regelmehrwertsteuersatz gekürzten Rechnungsbetrag.
Mit der am 5.7.2004 beim Sozialgericht (SG) Dortmund erhobenen und von diesem an das SG Koblenz verwiesenen Klage hat die Klägerin die von der Beklagten in der Zeit vom 22.7.2003 bis zum 10.12.2003 gekürzten Rechnungsbeträge in Höhe von insgesamt 1.322,70 € geltend gemacht. Das Finanzamt A hat mit Bescheid vom 3.2.2005 den Einspruch der Klägerin gegen die Festsetzung der Umsatzsteuer auf 16 % zurückgewiesen. Diese Entscheidung ist bindend. Das SG hat eine Auskunft der Oberfinanzdirektion (OFD) Koblenz vom Mai 2005 eingeholt, welche die Rechtsauffassung der Finanzbehörden wiederholt hat.
Durch Urteil vom 7.12.2005 hat das SG die Beklagte antragsgemäß verurteilt und zur Begründung ausgeführt: Die Klägerin sei berechtigt, bei der Lieferung von Sondennahrung den von den Finanzbehörden für zutreffend gehaltenen Regelmehrwertsteuersatz zu berechnen. Entgegen der Auffassung der Beklagten sei es der Klägerin nicht zuzumuten, wegen des Steuersatzes einen Prozess vor dem zuständigen Gericht der Finanzgerichtsbarkeit gegen die Finanzverwaltung zu führen.
Gegen dieses ihr am 21.12.2005 zugestellte Urteil richtet sich die am 20.1.2006 eingelegte Berufung der Beklagten. Sie trägt vor: Die von der Klägerin gelieferte Sondennahrung sei mit dem ermäßigten Steuersatz von 7 vH zu besteuern. Da sie, die Beklagte, nach dem mit der Klägerin geschlossenen Vertrag die „gültige“ Mehrwertsteuer zu zahlen habe, habe die Klägerin Anspruch auf Vergütung der Mehrwertsteuer nach dem Steuersatz, der nach den steuerrechtlichen Bestimmungen maßgebend sei. Sie, die Beklagte, habe keine Möglichkeit, an die Klägerin ergehende Umsatzsteuerbescheide anzufechten, da sie nicht deren Adressatin sei. Als Endverbraucherin sei sie jedoch wirtschaftlich von der steuerlichen Festlegung betroffen. Das zuständige Gericht der Sozialgerichtsbarkeit habe in einem Fall wie dem vorliegenden ohne Bindung an die erlassenen Umsatzsteuerbescheide und die Rechtsauffassung der Finanzverwaltung über den zutreffenden Umsatzsteuersatz zu entschei...