Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Hilfsmittel. Blindenführhund. Erforderlichkeit neben einem Blindenlangstock

 

Leitsatz (amtlich)

Ein Blindenführhund dient dem unmittelbaren Behinderungsausgleich bei Blindheit. Er kann neben einem Blindenlangstock medizinisch erforderlich sein, wenn er wesentliche Gebrauchsvorteile gegenüber diesem bietet.

 

Tenor

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 26.02.2013 wird zurückgewiesen.

2. Die Beklagte hat der Klägerin ihre außergerichtlichen Kosten auch für das Berufungsverfahren zu erstatten.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist die Versorgung der Klägerin mit einem Blindenführhund.

Die 1957 geborene, bei der Beklagten krankenversicherte Klägerin ist durch eine kongenitale Opticusatrophie erblindet. Die durch Gläserkorrektur nicht zu verbessernde Sehschärfe ist auf das Erkennen von Lichtschein bei defekter Lichtprojektion (Ortung der Lichtquelle) an beiden Augen herabgesetzt, womit die Sehschärfe an beiden Augen nicht mehr als ein Fünfzigstel beträgt; die Aufnahme eines Gesichtsfelds ist nicht mehr möglich (schriftliche Zeugenaussage der Augenärztin Dr. K im Klageverfahren vom 02.12.2012). Die Klägerin lebt allein in einer 2 ZKB-Eigentumswohnung in L (Größe 58,7 qm); ein Blindenhund darf nach Auskunft des Verwalters gehalten werden. Seit dem Tod naher Angehöriger und einer schweren Erkrankung ihrer Freundin hat die Klägerin keine Hilfs- und Betreuungspersonen mehr. Von der Beklagten wurde die Klägerin mit einem Bildschirmlesegerät sowie einem Dürer Blindenlangstock ausgestattet, für dessen Benutzung sie zu Lasten der Beklagten im August/September 2011 in einem Mobilitätstraining geschult wurde. Nach dem Bericht des Mobilitätstrainers M R an die Beklagte vom 14.12.2012 fanden die Übungseinheiten in K und L statt; in L verfügte die Klägerin über gute Ortskenntnisse. Sie zeigte ein gutes Orientierungsvermögen, so dass nur wenige Übungseinheiten erforderlich wurden.

Gestützt auf eine Bescheinigung der Diplom-Psychologin A -R vom 09.11.2011 beantragte die Klägerin im November 2011 die Versorgung mit einem Blindenführhund. In der Bescheinigung heißt es, um zukünftigen depressiven Episoden vorbeugen zu können, sei es wichtig, dass die Klägerin weiterhin aktiv am Leben teilnehmen könne, ihre Selbstständigkeit soweit möglich erhalte, ihre Freizeit aktiv gestalten und soziale Kontakte aufrecht erhalten könne; hierfür wäre ein Blindenhund eine wichtige Unterstützung. Nach telefonischer Rückfrage beim Mobilitätstrainer R , der einen Blindenführhund nicht für notwendig erachtete, da die Klägerin in kürzester Zeit den Umgang mit dem Blindenlangstock erlernt habe und sich ausreichend schnell habe orientieren können, lehnte die Beklagte den Antrag mit Bescheid vom 29.02.2012 ab. Im Widerspruchsverfahren veranlasste sie eine Stellungnahme der Ärztin im Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) Dr. S vom 11.04.2012, die die Versorgung mit einem Blindenführhund, die primär im Rahmen einer depressiven Störung begehrt werde, sozialmedizinisch nicht für indiziert erachtete. Mit Widerspruchsbescheid vom 21.06.2012 wies die Beklagte den Widerspruch gestützt auf diese Beurteilung zurück.

Am 12.07.2012 hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht Koblenz (SG) erhoben und geltend gemacht, sie könne zwar in der Regel bekannte Wege mit Hilfe des Blindenlangstockes selbstständig gehen. Selbst auf diesen Wegen werde sie aber immer wieder durch unvorhergesehene Hindernisse (rücksichtslose Fußgänger, Radfahrer auf dem Gehweg, Mülltonnen, Tiere, Baustellen, Äste) behindert und sei deshalb auch mit Hilfe des Blindenlangstockes unsicher und in ihrem Fortbewegen gefährdet; umso mehr gelte dies für unbekanntes Terrain. Die Klägerin hat hierzu eine Bestätigung ihrer Augenärztin Dr. K vom 22.08.2012 vorgelegt. Von dieser Ärztin hat das SG einen Befundbericht vom 29.10.2012 und eine schriftliche Zeugenaussage vom 02.12.2012 eingeholt.

Durch Urteil vom 26.02.2013 hat das SG den Bescheid der Beklagten vom 29.02.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.06.2012 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, die Klägerin mit einem Blindenführhund zu versorgen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Klägerin habe gemäß §§ 27 Abs. 1, 33 Abs. 1 Satz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) Anspruch auf einen Blindenführhund als Hilfsmittel der gesetzlichen Krankenversicherung. Ihre Sehschärfe sei auf weniger als 1/50 herabgesetzt und damit soweit, dass die Aufnahme eines Gesichtsfeldes nicht mehr möglich sei. Auf Grund der Beschränkung der Sehfähigkeit auf Lichtschein bestünden nachvollziehbar auch zusätzliche Einschränkungen bei Dämmerung und Dunkelheit. Soweit die Beklagte unter Bezugnahme auf den MDK darauf abstelle, dass die Klägerin zur Orientierung einen noch bestehenden Sehrest ausnutzen könne, überzeuge dies nicht. Auf Grund ihrer Blindheit sei die Klägerin auf Hilfsmittel angewiesen, was auch die Beklagte grundsätzlich nicht bestreite. Der ...

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