Leitsatz (amtlich)
Eine Blinde, die mit einem Sprech-Lesegerät versorgt ist, hat keinen Anspruch auf zusätzliche Versorgung mit einer Braillezeile als Hilfsmittel, weil diese nach gegenwärtigem Kenntnisstand keine wesentlichen zusätzlichen Vorteile für die Befriedigung des allgemeinen Informationsbedürfnisses des behinderten Menschen bietet.
Tenor
1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Speyer vom 25.05.2004 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.
2. Außergerichtliche Kosten sind in beiden Instanzen nicht zu erstatten.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Umstritten ist, ob die Beklagte verpflichtet ist, die Klägerin mit einer Braillezeile zu versorgen.
Die 1967 geborene und bei der Beklagten versicherte Klägerin, die im November 2003 eine Ausbildung zur Fachangestellten für Medien- und Informationsdienste an einer Spezialbibliothek begonnen hat, ist seit ihrem 13. Lebensjahr vollständig erblindet. Mit Schreiben vom 19.3.2002 beantragte sie unter Bezugnahme auf eine Verordnung von Dr K bei der Beklagten die Übernahme der Kosten eines elektronischen Vorlesesystems sowie einer Braillezeile der Marke „Universal Reader Compact und Braillex Tiny" gemäß Kostenvoranschlag der Firma P GmbH bei Kosten von netto 4.330 € für das Vorlesesystem und 5.100 € für die Braillezeile.
Mit Bescheid vom 26.6.2002 bewilligte die Beklagte der Klägerin einen Zuschuss von 2.400 € für das Vorlesesystem, das dieser am 20.11.2002 ausgeliefert wurde. Durch weiteren Bescheid vom gleichen Tag lehnte die Beklagte eine Versorgung mit einer Braillezeile ab, da mit einer solchen das Maß des Notwendigen überschritten werde. Der hiergegen eingelegte Widerspruch wurde durch Widerspruchsbescheid vom 2.10.2002 zurückgewiesen.
Am 29.10.2002 hat die Klägerin Klage erhoben. Sie hat geltend gemacht, dass zur Erfüllung ihres privaten Informations- und Kommunikationsbedarfs die Ausstattung mit einer Braillezeile erforderlich sei. Es komme ihr darauf an, ihre private Post mit der Braillezeile selbst zu erledigen, insbesondere Kontoauszüge, Beipackzettel und Rechnungen zu lesen. Sie habe Englisch studiert und interessiere sich deshalb auch für englischsprachige Literatur, die mit dem Vorlesesystem allein nicht nutzbar sei.
Das Sozialgericht (SG) hat ein Gutachten nach Aktenlage von Dipl-Psych S von der Deutschen Blindenstudienanstalt eV M vom September 2003 erstatten lassen. Dieser hat die nach seiner Ansicht bestehenden Vorteile einer Braillezeile gegenüber einem Vorlesesystem im Einzelnen dargestellt. Die Firma P hat dem SG das aktualisierte Angebot übersandt.
Durch Urteil vom 25.5.2004 hat das SG die Beklagte unter Aufhebung des angefochtenen Bescheides verurteilt, der Klägerin die Braillezeile „Braillex EL 40s" einschließlich der Braillesteuerung „Jaws" zu gewähren. Zur Begründung hat es ausgeführt: Die Voraussetzungen für eine Gewährung der Braillezeile als Hilfsmittel nach § 33 Abs 1 Satz 1 des Fünften Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB V) seien erfüllt. Diese befriedige das Grundbedürfnis der Klägerin auf (umfassende) Information. Deren Informationsbedürfnis sei in einem umfassenden Sinne Rechnung zu tragen, sodass die bloße Verweisung auf Rundfunk und Audiotheken nicht zulässig sei. Zu einem selbstbestimmten Leben gehöre auch die Information im persönlichen Lebensbereich auf einfachster Stufe. Dabei gehe es ua um Zeitungslektüre und die Kenntnisnahme von Telefonnummern, Telefonrechnungen, Arzneibeipackzetteln, Formularen usw (Hinweis auf BSG, 16.4.1998, B 3 KR 6/97 R, SozR 3-2500 § 33 Nr 26). Mit dem vorhandenen Vorlesesystem werde diesem Informationsbedürfnis nicht hinreichend Rechnung getragen, wie aus dem eingeholten Gutachten hervorgehe. Wie der Sachverständige dargelegt habe, seien die Probleme der Spaltenerkennung und -interpretation (zB hinsichtlich Inhaltsverzeichnissen, Texten mit Marginalien und Tabellen) durch ein Vorlesesystem bisher nicht gelöst. Auch Schriftgut mit Zahlen, Abkürzungen, Bildern und Fachbegriffen könne nur mit einer Braillezeile in sinnvoller Weise erkannt werden. Das Vorlesesystem „Universal Reader Compact" vermöge einzelne fremdsprachige Wörter nicht zu erkennen. Von der Beklagten sei nicht geltend gemacht worden, dass das der Klägerin zur Verfügung gestellte Vorlesesystem so ausgereift und technisch vervollkommnet sei, dass Schwächen ganz oder nahezu vollständig beseitigt und eine Braillezeile insoweit überflüssig geworden sei (Hinweis auf BSG, 21.11.2002, B 3 KR 4/02 R). Insbesondere habe diese nicht vorgetragen, dass der Sachverständige nicht den aktuellen technischen Stand der Vorlesegeräte berücksichtigt habe bzw dass seit Oktober 2003 technische Verbesserungen bei Vorlesesystemen eingetreten seien und die Klägerin mit einem solchen neuartigen Gerät ausgestattet sei. Die Kammer erachte daher die Vernehmung des von der Beklagten zum Termin zur mündlichen Verhandlung mitgebrachten Stefan D (Hersteller von Blindenlesegeräten) für entbehrlich.
Gegen dieses ihr am 26.7.2004 zugeste...