Entscheidungsstichwort (Thema)
Kassenärztliche Vereinigung. Plausibilitätsprüfung. Verwendung von Tagesprofilen. geeignetes Beweismittel. persönliche Leistungserbringung eines Pathologen. Einstellung des Strafverfahrens
Orientierungssatz
1. Die Verwendung von Tagesprofilen im Rahmen der Plausibilitätsprüfung nach § 106a Abs 2 SGB 5 zur Beurteilung der Frage, ob abgerechnete Leistungen erbracht worden sind, ist grundsätzlich nicht zu beanstanden. Sie stellen unter bestimmten Voraussetzungen ein geeignetes Beweismittel dar, um einem Vertragsarzt unkorrekte Abrechnungen nachweisen zu können.
2. Hat ein Pathologe die von Oberärzten vorbereitenden Befunde geprüft bzw zu eigen gemacht und dabei sichergestellt, dass ihm im letzten Arbeitsschritt die Präparate zur eigenen Befundung vorgelegt wurden, hat er die Leistung persönlich erbracht.
3. Hat ein Zivilgericht das Verfahren gemäß § 153a Strafprozessordnung eingestellt, ist es fraglich, ob eine Kassenärztliche Vereinigung berechtigt war, sich bei ihren Bescheiden allein auf die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft zu stützen.
Nachgehend
Tenor
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Mainz vom 15.04.2015 wird zurückgewiesen.
2. Die Beklagte trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist, ob die Beklagte zu Recht eine sachlich-rechnerische Berichtigung der Honorarbescheide der Quartale 2/2005 bis 3/2007 vorgenommen und einen Regress in Höhe von 497.302,41 € festgesetzt hat.
Der Kläger ist Facharzt für Pathologie und war Direktor des Instituts für Allgemeine Pathologie der Universitätsmedizin der J M. Seit 01.05.1993 war er gemäß § 31a Abs. 1 der Zulassungsverordnung für Vertragsärzte (Ärzte-ZV) zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung ermächtigt. Die Ermächtigung erstreckte sich auch auf die Erbringung und Abrechnung von histologischen und zytologischen Leistungen (Beschlüsse des Zulassungsausschusses für Ärzte vom 25.06.2003, 29.06.2005 und 13.06.2007). Mit Schreiben vom 19.09.2006 teilte die Beklagte dem Kläger mit, bezüglich der Kassenabrechnungen des Klägers betreffend die Quartale 2/2005 bis 4/2005 seien im Einzelnen aufgeführte Auffälligkeiten festgestellt worden. Diese resultierten aus der Durchführung von histologischen oder zytologischen Untersuchungen nach der Nr. 19310 des Einheitlichen Bewertungsmaßstabs für Ärzte - EBM-Ä - (Zytologische oder histologische Untersuchung eines Materials) sowie der Zuschlagsziffer nach Nr. 19312 EBM-Ä. Diese Untersuchung werde bis zu 350 mal (19.10.2005) an einem einzigen Arbeitstag in Ansatz gebracht, was bei einer zeitlichen Mindestvorgabe von vier Minuten einer Arbeitszeit von über 23 Stunden entspreche. Dies sei unplausibel. Der Kläger wies mit Schreiben vom 25.09.2006 darauf hin, dass er als erfahrener Pathologe einen geringeren Zeitaufwand benötige und der größte zeitliche Aufwand auf die nichtärztlichen Labortätigkeiten entfalle. Ein wesentlicher Teil der von ihm zu beurteilenden Proben stamme aus dem Bereich der gastroenterologischen Endoskopie sowie der urologischen Stanzbiopsien. Gerade bei den letzteren Proben seien oft zehn bis zwölf getrennte Biopsien einer Prostata zu beurteilen, so dass für einen einzigen Fall mit zehn getrennten Regionen der Prostata zwar theoretisch Prüfzeiten von 40 Minuten anfielen, die Beurteilung praktisch aber viel weniger Zeit erfordere. Gleiches gelte für gastroenterologische Biopsien, bei denen meist vier getrennte Regionen zu beurteilen und zudem Sonderfärbungen durchzuführen seien, so dass sich hier Prüfzeiten von viermal sechs Minuten (vier Minuten für Nr. 19310 EBM-Ä plus zwei Minuten für Nr. 19312 EBM- Ä), also 24 Minuten ergäben, während die Beurteilung tatsächlich ohne Weiteres in wenigen Minuten vorzunehmen sei.
Am 14.06.2007 stellte die Beklagte eine Strafanzeige wegen des Verdachts des Abrechnungsbetrugs gegen den Kläger bei der Staatsanwaltschaft M. Auf Bitte der Staatsanwaltschaft holte die Beklagte eine Stellungnahme bei der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) ein zu den Fragen, ob (1.) nach der Leistungslegende der Nr. 19310 EBM-Ä eine Aufspaltung dieser Untersuchung in einen laborchemischen und befundeten Teil überhaupt zulässig sei und (2.) ob in einem solchen Fall die in der Zeitliste vorgegebenen vier Minuten auch dann realistisch seien, wenn der Arzt bis zu zehn Materialien eines Organs befunde. Die KBV führte in ihrem Schreiben vom 26.10.2007 aus, bewertungstechnisch sei die Nr. 19310 EBM-Ä in den Kostenstellen “Arbeitszimmer Pathologe„ und “Histologisches Labor„ kalkuliert, wobei lediglich in der Kostenstelle “Arbeitszimmer Pathologe„ ein ärztlicher Leistungsanteil beinhaltet sei und die Kostenstelle “Histologisches Labor„ ausschließlich einen technischen Leistungsanteil aufweise. Aus der beigefügten Teilleistungsübersicht lasse sich ableiten, dass der durch nichtärztliches Personal erbrachte labortechnische Anteil...