Entscheidungsstichwort (Thema)

landwirtschaftliche Unfallversicherung. Zuständigkeitsänderung des Unfallversicherungsträgers. Verfassungsmäßigkeit. Rechtsstaatsprinzip. Satzung. unechte Rückwirkung. angemessener Beitragsmaßstab

 

Orientierungssatz

1. Die Änderung der Zuständigkeit eines Unfallversicherungsträgers verletzt die Versicherungspflichtigen nicht in ihren Grundrechten. Die Pflichtmitgliedschaft in einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft ist mit dem GG und insbesondere den Grundrechten vereinbar.

2. Die vom Gesetzgeber durch Art 9 Abs 1 ASRG angeordnete Zuständigkeitsänderung entspricht auch dem aus dem Rechtsstaatsprinzip abzuleitenden Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (Art 20 Abs 3 GG).

3. Eine unechte Rückwirkung einer Norm (hier: Satzung) ist zulässig, wenn das Vertrauen des Einzelnen auf den Fortbestand einer bestimmten Regelung im Hinblick auf die Bedeutung des gesetzgeberischen Anliegens für das Wohl der Allgemeinheit nicht den Vorrang verdient.

4. Der von einer landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft gewählte Kombinationsmaßstab aus einem Grundbeitrag, Flächenwert und Flächengrößenbeitrag, die in einem bestimmten Verhältnis stehen, ist insgesamt ein angemessener Maßstab iS des § 803 Abs 1 RVO.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit des Bescheids der Beklagten über die Beitragsumlage für das Jahr 1996.

Die Kläger sind Landwirte und bewirtschafteten zunächst einen Betrieb von ca. 133 ha Ackerland und 1,8 ha Wald im südlichen Teil von Rheinland-Pfalz.

Bis 31.12.1994 war die Beklagte nur für den südlichen Teil von Rheinland-Pfalz zuständig. Mit dem Agrarsozialreformgesetz 1995 (ASRG) wurde der Verbund der ehemals preußischen Gebiete des Rheinlandes aufgelöst. Die Rheinische Landwirtschaftliche Berufsgenossenschaft (LBG) und die LBG Hessen-Nassau verloren ihre Zuständigkeit für die rheinland-pfälzischen Gebiete im Norden des Landes (Regierungsbezirke Koblenz und Trier). Die Zuständigkeit der Beklagten wurde auf ganz Rheinland-Pfalz erstreckt (Art 9 Abs 1 S 1 ASRG). Allerdings führte die Rheinische LBG in ihrem bisherigen Zuständigkeitsbereich bis 31.12.1996 im Auftrag der Beklagten die Unfallversicherung durch (Art 9 Abs 2 S 1 ASRG).

Im alten Zuständigkeitsbereich der Beklagten betrug der Hebesatz für die Berechnung des Flächenwertbeitrags 1994 23,52 DM und 1995 25,53 DM, im ehemaligen Zuständigkeitsbereich der Rheinischen LBG 1994 47,16 DM und 1995 93,34 DM.

Die Beitragsumlage wurde von der Beklagten erstmals für das Jahr 1996 in ganz Rheinland-Pfalz nach einem einheitlichen Hebesatz erhoben. Die Beklagte errechnete für das Jahr 1996 einen Umlagebedarf von DM 114 Mio, wobei der Umlagebedarf im alten Zuständigkeitsbereich DM 48.5 Mio und im neuen DM 65.5 Mio. betrug. Da die Beklagte zweifelte, ob sie die Rentenleistungen für den Monat Januar 1998 auch im neuen Zuständigkeitsbereich zahlen konnte, brachte sie weitere DM 6 Mio in den Umlagebedarf ein. Die Gesamtumlage betrug DM 120 Mio.

Zum Zeitpunkt der Berechnung des Umlagebedarfs im Dezember 1996 war die Vermögensauseinandersetzung zwischen der Rheinischen LBG und der Beklagten infolge der Zuständigkeitsänderung noch nicht abgeschlossen, was auf die Vorschrift des Art 9 Abs 5 ASRG zurückzuführen war. Sie lautet: "Die Rheinische LBG und die LBG Rheinland-Pfalz sowie die LBG Hessen-Nassau und die LBG Rheinland-Pfalz treffen jeweils Vereinbarungen über die Vermögensauseinandersetzung. Kommen diese Vereinbarungen bis zum 31. Dezember 1995 nicht zustande, stellen die beteiligten Aufsichtsbehörden das Einvernehmen her". Da weder eine Vereinbarung noch ein Einvernehmen erreicht werden konnte, erhob die Beklagte im Dezember 1996 Klage beim Sozialgericht Speyer (S 6 U 556/96). Sie begehrte 55% der Betriebsmittel und der Rücklagen der Rheinischen LBG.

Die Vertreterversammlung der Beklagten beschloss am 10.12.1996 die Beitragssatzung, welche von der Aufsichtsbehörde am 10.1.1997 genehmigt und am 3.2.1997 bekannt gemacht wurde. Sie trat gem § 61 Satz 2 der Satzung rückwirkend zum 1.1.1997 in Kraft. Danach setzen sich die Beiträge aus einem Grund-, einem Flächenwert- und einem Flächengrößenbeitrag zusammen. Der Flächenwertbeitrag wird durch Multiplikation der Flächengröße mit einem durchschnittlichen ha-Wert des Grundstücks sowie einem Hebesatz je 1.000,-- DM Flächenwert errechnet. Der Flächengrößenbeitrag ist ein Produkt aus der Flächengröße und einem Beitrag je ha.

Mit Bescheid vom 27.1.1997 forderte die Beklagte von den Klägern einen Zahlbetrag für das Jahr 1996 in Höhe von 8.044,10 DM. Dieser errechnete sich wie folgt:

Grundbeitrag DM 250,--

Flächenwertbeitrag

(80,2300 ha Ackerland mit einem Wert pro ha von

DM 2.500,-- = DM 200.575,-- x Hebesatz von DM 46,34

je DM 1.000,-- Flächenwert = DM 11.084,53

Flächengrößenbeitrag

80,2300 ha x DM 29,49 = DM 3.937,35

insgesamt DM 15.271,88

abzüglich Bundeszuschuss DM 5.759,03

abzüglich Beitragsgutschrift nach Sondermitteln

der Europäischen Gemeinschaft (EU) DM 1.468,80

Der Zahlbetrag stieg gegenübe...

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