Entscheidungsstichwort (Thema)
Feststellung der Pflegebedürftigkeit von Kindern. Ermittlung des altersphysiologischen Hilfebedarfs
Leitsatz (amtlich)
Bei der Feststellung der Pflegebedürftigkeit von Kindern kann der in Abzug zu bringende altersphysiologische Hilfebedarf nicht durch eine lineare Fortschreibung der Tabellenwerte der Begutachtungs-Richtlinien vom 21.3.1997, S 45, ermittelt werden.
Verfahrensgang
SG Mainz (Urteil vom 09.10.2001; Aktenzeichen S 4 P 58/99) |
Tenor
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Mainz vom 09.10.2001 wird zurückgewiesen.
2. Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Streitig sind im Berufungsverfahren Leistungen der Pflegestufe II für die Zeit vom 01.01.2000 bis 31.12.2000.
Die am … 1993 geborene Klägerin ist bei der Beklagten in der sozialen Pflegeversicherung nach dem Elften Sozialgesetzbuch (SGB XI) versichert. Sie bezieht seit dem 24.09.1996 Pflegegeld der Pflegestufe I und seit dem 01.01.2001 der Pflegestufe II.
Nach Höherstufungsantrag vom Oktober 1998 erfolgte eine Begutachtung durch Dr. F. vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) vom 14.10.1998, die als pflegebegründende Diagnosen eine spastische Tetraparese und eine allgemeine Entwicklungsverzögerung bei Zustand nach Frühgeburtlichkeit feststellte und einen grundpflegerischen Hilfebedarf von 220 Minuten (Körperpflege 71 Minuten, Ernährung 40 Minuten, Mobilität 109 Minuten) annahm, von dem der Zeitaufwand für die Versorgung eines altersentsprechend entwickelten gesunden fünfjährigen Kindes im Umfang von 120 Minuten in Abzug zu bringen sei, so dass weiterhin eine Einstufung in die Pflegestufe I korrekt sei. Nach Beiziehung weiterer Unterlagen – Entlassungsbericht des Interdisziplinären Therapiezentrums Haus F. vom 05.03.1999, Pflegetagebuch der Mutter der Klägerin für die Zeit vom 01.04.1999 bis 07.04.1999, Attest des Kinderarztes Dr. von P. vom 11.04.1999- und ergänzendem Aktengutachten von Dr. F. vom 02.06.1999 lehnte die Beklagte gestützt auf die Beurteilung des MDK mit Bescheid vom 14.06.1999 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.09.1999 die Höherstufung in die Pflegestufe II ab.
Im hiergegen gerichteten Klageverfahren hat das Sozialgericht Mainz (SG) eine Pflegezeitaufstellung der Mutter der Klägerin für den 05.02.2000 beigezogen, ferner Auskünfte des Orthopäden Dr. E. vom 14.04.2000 und der Sonderschullehrerin Fu. vom 09.05.2000. Die Klägerin hat weitere Atteste des Kinderarztes Dr. von P. vom 07.01.2000 und 11.07.2000, des Orthopäden Dr. E. vom 10.06.1999 und von Dr. K. vom 29.06.1999 vorgelegt, ferner Unterlagen des Zentrums für Konduktive Therapie des St. N. Stiftshospitals A. Von Amts wegen hat das SG ein Gutachten von Dr. D.-S. vom 20.11.2000, ergänzt durch Stellungnahmen vom 06.03.2001 und 08.06.2001, eingeholt. Der Sachverständige hat den krankheitsbedingten grundpflegerischen Mehrbedarf der Klägerin mit 148 Minuten (Körperpflege 83 Minuten, Ernährung 10 Minuten, Mobilität 55 Minuten) angenommen und den hauswirtschaftlichen Zeitaufwand mit 45 Minuten im Tagesdurchschnitt beziffert.
Die Beklagte hat der Klägerin während des Klageverfahrens mit Bescheid vom 03.05.2001 aufgrund eines MDK-Gutachtens der Pflegefachkraft R. vom 25.04.2001 Pflegegeld nach Pflegestufe II ab 01.01.2001 gewährt, weil bei einem vom MDK nunmehr festgestellten grundpflegerischen Hilfebedarf von 189 Minuten (Körperpflege 77 Minuten, Ernährung 30 Minuten, Mobilität 82 Minuten), von dem ab der Vollendung des achten Lebensjahres ein altersphysiologischer Versorgungsaufwand von nur noch 60 Minuten abzuziehen sei, und einem hauswirtschaftlichen Mehrbedarf von tagesdurchschnittlich 60 Minuten die Voraussetzungen der Pflegestufe II ab Januar 2001 erfüllt seien.
Die Klägerin hat demgegenüber weiterhin die Zuerkennung der Pflegestufe II bereits ab Antragstellung im Oktober 1998 geltend gemacht und sich hierfür insbesondere auf die Beurteilung des Sachverständigen Dr. D.-S. gestützt.
Durch Urteil vom 09.10.2001 hat das SG die Beklagte unter Abänderung der angefochtenen Bescheide verurteilt, der Klägerin Leistungen nach der Pflegestufe II ab 01.01.2000 zu gewähren, im Übrigen hat es die Klage abgewiesen.
Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt, die Klage sei teilweise begründet. Die Klägerin habe bereits mit Vollendung des 7. Lebensjahres Anspruch auf Zuordnung zur Pflegestufe II und damit auf Gewährung von Pflegegeld nach der entsprechenden Pflegestufe gemäß § 37 SGB XI. Für die Zeit davor seien allerdings die Voraussetzungen der Pflegestufe II noch nicht erfüllt, da ein höherer altersphysiologischer Hilfebedarf in Abzug zu bringen und ein Mehrbedarf von mindestens 120 Minuten im Tagesdurchschnitt im Bereich der Grundpflege nicht vorliege. Auf der Grundlage der für den geltend gemachten Anspruch maßgeblichen gesetzlichen Vorschriften und der hierzu in der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelte...