Leitsatz (amtlich)

Anerkennung einer Aktualneurose als Folge eines Wegeunfalles eines Versicherten mit einer vorbestehenden zwanghaften narzisstischer Persönlichkeitsstruktur; Haftungsausfüllende Kausalität

 

Normenkette

RVO § 550 Abs. 1

 

Tatbestand

Streitig ist, ob dem Kläger aufgrund der Folgen eines Wegeunfalls eine Verletztenrente zu zahlen ist.

Der …1950 geborene Kläger erlitt am 15.11.1995 auf dem Nachhauseweg von seiner beruflichen Tätigkeit als Filialleiter einer Sparkasse einen Unfall, als, nachdem er verkehrsbedingt anhalten musste, ein Pkw von hinten auf sein Fahrzeug auffuhr und es auf ein weiteres vor ihm stehendes Fahrzeug schob.

Dr. W diagnostizierte unmittelbar nach dem Unfall eine Distorsion der Halswirbelsäule (HWS) und der Brustwirbelsäule (BWS) sowie eine Thoraxprellung. Er fand einen Druckschmerz im Bereich der mittleren Halswirbelsäule und paravertebral bei schmerzhafter Funktion, einen diffusen Klopfschmerz und Druckschmerz an der gesamten Brustwirbelsäule sowie einen leichten Druckschmerz an Thorax und Sternum. In den Röntgenaufnahmen zeigten sich keine Zeichen einer Fraktur.

Aufgrund einer klinischen Untersuchung am 28.11.1995 diagnostizierte der Neurologe Dr. H einen Zustand nach schwerem HWS-Distorsionstrauma mit Parästhesien im Bereich beider Hände. Ein von ihm am 15.12.1995 durchgeführtes SSEP ergab normale zentrale Leitungszeiten bei leichter Verzögerung N 13 links.

Ein CT der HWS vom 28.11.1995 ergab mäßige osteoarthropathische degenerative Veränderungen ohne Hinweis auf einen Bandscheibenvorfall bei Verdacht auf ältere Fraktur C 2 ohne Fehlstellung im Processus spinosum.

In einem Befundbericht vom 23.1.1996 beschrieb Dr. H eine Druckschmerzhaftigkeit der Schulternackenmuskulatur bei eingeschränkter Lateralisation der HWS. Im übrigen war der Befund unauffällig. Subjektiv habe der Kläger über häufige Kopfschmerzen, Schwindelempfindungen und konzentrative Einbußen geklagt.

In einem weiteren Bericht vom 22.2.1996 gab Dr. H an, der Kläger habe berichtet, ständig andere Fahrzeuge zu beobachten. Er habe Angst, dass sein Fahrzeug sich nicht verkehrsgerecht verhalte. Dabei spiele sich dann immer wieder der Unfall in ihm ab. Der Kläger wirke unterschwellig angespannt ängstlich und streckenweise depressiv. Er schildere konzentrative Einbußen und eine rasche Erschöpfbarkeit. Dr. H diagnostizierte einen Zustand nach schwerem HWS-Distorsionstrauma mit posttraumatic stress disorder.

Ein von der Beklagten angeforderter Auszug aus der Leistungskarte der Deutschen Angestellten-Krankenkasse (DAK) enthielt keinen Eintrag über eine Vorerkrankung.

Am 8.6.1996 teilte Dr. H der Beklagten mit, der Kläger habe am 1.4.1996 seinen vollen Dienst wieder aufgenommen. Es bestünden eine Druckschmerzhaftigkeit der Nervi suboccipitalis, der oberen Trapeziusmuskulatur, am Ansatz der langen Bizepssehne beidseits im Sinn einer Periarthropathia humero scapularis beidseits sowie am Epicondylus lateralis beidseits. Psychisch wirke der Kläger unterschwellig ängstlich und ratlos angesichts der konzentrativen Einbußen und der raschen Erschöpfbarkeit. Dr. H diagnostizierte einen Zustand nach schwerer HWS-Distorsion mit posttraumatischer Stress-Disorder, persistierende myostatische HWS-Beschwerden, eine Periarthropathia humero scapularis beidseits sowie eine Epicondylopathia humero lateralis beidseits.

Der praktische Arzt Dr. B führte in einem Befundbericht vom 21.8.1996, in dem er die von Dr. H gestellten Diagnosen wiederholte, aus, er habe den Kläger letztmals am 15.3.1996 behandelt. Seit dem 16.3.1996 habe er wieder vollschichtig gearbeitet. Objektiv neurologisch habe kein Defizit bestanden.

Der Orthopäde und Chirurg Dr. W kam in einem Gutachten vom 9.11.1996 zu dem Ergebnis, beim Kläger seien auf seinem Fachgebiet keine Unfallfolgen mehr nachweisbar. Unfallunabhängig bestünden deutliche degenerative Veränderungen mehrsegmental im Bereich der HWS und eine kurzbogige Seitverbiegung der unteren BWS mit auch hier vorliegenden degenerativen Veränderungen. Diese seien durch den Unfall nicht verschlimmert worden, da die aktuellen Röntgenbilder gegenüber denen vom 15.11.1995 einen identischen Befund aufwiesen. Unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit habe bis Ende März 1996 bestanden. Danach bestehe keine unfallbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE).

Am 21.11.1996 teilte Dr. H der Beklagten mit, es bestehe der dringende Verdacht auf Entwicklung einer somatoformen Störung.

Durch Bescheid vom 27.2.1997 lehnte die Beklagte die Zahlung einer Verletztenrente mit der Begründung ab, nach dem Gutachten des Dr. W lägen keine Unfallfolgen mehr vor.

Im Widerspruchsverfahren holte die Beklagte ein Gutachten des Dr. K vom 27.1.1998 ein. Dieser kam zu dem Ergebnis, der Kläger habe bei dem Unfall vom 15.11.1995 eine HWS-Distorsion erlitten, die nach 4 bis 5 Monaten vollständig ausgeheilt sei. Unfallunabhängig bestehe eine vegetative Labilität, die zu zahlreichen Befindlichkeitsstörungen führe, die aber nicht unfallbedingt seien. Es seien auch keine anlagebe...

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