Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialrechtliches Verwaltungsverfahren. Anspruch auf Erstattung von Vorverfahrenskosten gem § 63 SGB 10 gegenüber dem Grundsicherungsträger. kein Erlöschen durch Aufrechnung mangels Aufrechnungslage. Befreiungsanspruch. fehlende Gleichartigkeit. kein Zurückbehaltungsrecht nach § 273 BGB
Leitsatz (amtlich)
1. Vor Umwandlung des Kostenerstattungsanspruchs nach § 63 SGB 10 in einen Zahlungsanspruch scheitert eine Aufrechnung des Jobcenters mit eigenen Zahlungsansprüchen an der vorausgesetzten Gleichartigkeit der zur Aufrechnung gestellten Forderungen.
2. Die Entstehung der gegenseitigen Forderungen aufgrund des Sozialleistungsverhältnisses begründet noch kein Zurückbehaltungsrecht.
Normenkette
SGB I §§ 51-52; SGB X § 63 Abs. 1 S. 1, Abs. 2; BerGH § 9 S. 2; BGB § 249 Abs. 1, §§ 257, 273, 387, 389
Tenor
1. Auf die Berufung der Kläger wird das Urteil des Sozialgerichts Trier vom 20. September 2012 aufgehoben und der Beklagte verurteilt, die Kläger von dem Vergütungsanspruch ihrer Prozessbevollmächtigten i.H.v. 208,68 € aus der Rechtsanwaltsgebührenrechnung Nr. 0083.12 vom 19. Mai 2012 freizustellen.
2. Der Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Kläger in beiden Rechtszügen zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Verpflichtung des Beklagten, die Kläger von der Gebührenforderung ihrer Rechtsanwältin freizustellen.
Die verheirateten Kläger beziehen zusammen mit ihren Kindern seit dem Jahr 2005 Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II). Mit bestandskräftigem Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 02. Februar 2010 forderte der Beklagte von der Klägerin zu 1. die Erstattung von Leistungen nach dem SGB II i.H.v. 462,82 €. Gegenüber dem Kläger zu 2. setzte der Beklagte mit bestandskräftigem Bußgeldbescheid eine Geldbuße zzgl. Gebühren und Auslagen i.H.v. 273,50 € fest. In einem Widerspruchsverfahren der Kläger und ihrer Kinder K... H... , geboren am ...1992, A... K..., geboren am ...2000, sowie R... K..., geboren am ...2002, wegen der Höhe der Leistungen half der Beklagte dem Widerspruch teilweise ab (Widerspruchsverfahren W 543/11). Im Widerspruchsbescheid vom 15. Mai 2012 erklärte sich der Beklagte bereit, die den Klägern und ihren Kindern im Widerspruchsverfahren entstandenen notwendigen Aufwendungen zu 80 % zu erstatten. Zudem wurde die Zuziehung eines Bevollmächtigten als notwendig anerkannt. Beratungshilfe haben die Kläger nach eigenen Angaben nicht in Anspruch genommen. Die Prozessbevollmächtigte der Kläger machte mit Schreiben vom 19. Mai 2012 die Kosten des Widerspruchsverfahrens geltend und übersandte eine an “C... K...-H... und D... K... u.a.„ adressierte Gebührenrechnung (Nr. 0...), in der unter Nennung der Widerspruchsangelegenheit und der Aufschlüsselung der Gebühren nach den Vorschriften des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes (RVG) eine Gesamtsumme i.H.v. 521,70 € in Rechnung gestellt wurde. Diese setzte sich zusammen aus einer Geschäftsgebühr Nr. 2400 VV RVG i.V.m. Nr. 1008 VV RVG für fünf Auftraggeber i.H.v.528,00 € zzgl. der Pauschale für Post- und Telekommunikation Nr. 7002 VV RVG i.H.v. 20,00 €. Hiervon wurde die Quote von 80 v.H. ermittelt zzgl. 19 % Umsatzsteuer gemäß Nr. 7008 VV RVG.
Die Weisungen der Bundesagentur für Arbeit (BA) regeln unter Ziffer 3. Abs. 1, dass vor einer Auszahlung von zu erstattenden Kosten im Vorverfahren und außergerichtlichen Kosten in Sozialgerichtsverfahren stets zu prüfen ist, ob gegen den Kläger Forderungen seitens der BA bestehen. Soweit die BA Forderungen gegen den Kostengläubiger hat, ist eine Aufrechnungsmöglichkeit nach § 387 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) zu prüfen. Ziffer 3. Abs. 2 sieht vor, dass, sofern eine Aufrechnung in Betracht kommt, diese nicht mit hoheitlichen Mitteln (Verwaltungsakt) erfolgt, sondern mittels einseitiger Willenserklärung.
Dementsprechend wies der Beklagte die Kläger mit Schreiben vom 22. Mai 2012 darauf hin, dass noch offene Forderungen gegen die Kläger in einer Gesamthöhe von 533,33 € bestünden, wobei auf die Klägerin zu 1. ein Betrag i.H.v. 257,68 € und auf den Kläger zu 2. ein Betrag i.H.v. 275,65 € entfalle. Des Weiteren enthält das Schreiben die Mitteilung, dass der Anspruch der Kläger auf Kostenerstattung teilweise gegen diese Forderungen aufgerechnet werde. Weil Auslagen und Gebühren für insgesamt fünf Auftraggeber geltend gemacht worden seien, jedoch nur gegen zwei der fünf Auftraggeber offene Forderungen bestünden, werde lediglich jeweils 1/5 der Gebühren (104,34 €) mit den offenen Forderungen aufgerechnet. Der Differenzbetrag i.H.v. 313,02 € wurde an die Bevollmächtigte überwiesen.
Hiergegen richtet sich die am 23. Mai 2012 bei dem Sozialgericht Trier (SG) erhobene Klage. Die Kläger vertreten die Auffassung, dass durch die erklärte Aufrechnung ihr Freistellungsanspruch nicht erloschen sei. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) sei die Aufrechnung eines Befreiungsanspruchs gegen einen Zahlungsanspruch wegen Ung...