Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Rahmenvertrag über die Arzneimittelversorgung. kein einheitlicher Apothekenabgabepreis bei Lieferungen durch eine ausländische Versandapotheke. Umsatzsteuerpflicht der Krankenkasse. kein Verstoß gegen den freien Warenverkehr bei fehlendem Beitritt der Versandapotheke zum Arzneiliefervertrag. - siehe dazu anhängiges Verfahren beim BSG: B 3 KR 19/17 R

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die AMPreisV geht zwar grundsätzlich von einem einheitlichen Apothekenabgabepreis aus. Dieser gilt jedoch ausnahmsweise dann nicht, wenn - abweichend von der inländischen Fallgestaltung - bei Lieferungen durch eine ausländische Versandapotheke nicht die Apotheke, sondern die Krankenkasse umsatzsteuerpflichtig ist.

2. Hängt die Anwendbarkeit einer Taxbeanstandungsfrist nach einem Arzneiliefervertrag von dem Beitritt der Versandapotheke aus dem EU-Ausland zu einem solchen Vertrag ab, kann diese einen Verstoß gegen den freien Warenverkehr (Art 34 AEUV) nicht mit Erfolg geltend machen, wenn sie einen Beitritt nicht versucht hat.

 

Tenor

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Speyer vom 21.3.2016 wird zurückgewiesen.

2. Die Beklagte trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens.

3. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Umstritten ist ein Anspruch der klagenden Krankenkasse gegen die beklagte, in den Niederlanden ansässige Apotheke auf Rückzahlung von in die Vergütung einbezogener Umsatzsteuer (einschließlich Umsatzsteuer auf Herstellerrabatte) von insgesamt 162.488,70 € sowie auf Erteilung ordnungsgemäßer Rechnungen für Arzneimittellieferungen an Versicherte der Klägerin.

Die Beklagte war zum 1.2.2010 dem zwischen dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen (GKV-Spitzenverband) und dem Deutschen Apothekerverband eV geschlossenen Rahmenvertrag über die Arzneimittelversorgung nach § 129 Abs 2 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V; im Folgenden: Rahmenvertrag) beigetreten. Seit März 2010 lieferte sie im Wege des Versandhandels Arzneimittel an Versicherte der Klägerin. Über eine Apotheken-Verrechnungsstelle stellte die Beklagte der Klägerin im Zeitraum von März 2010 bis einschließlich Dezember 2012 Vergütungen für Arzneimittellieferungen in Höhe von insgesamt 2.010.226,91 € in Rechnung. Die Apotheken-Verrechnungsstelle ermittelte die Abrechnungsbeträge, indem sie von den in den Rechnungen aufgeführten „Brutto“-Werten in Höhe der einheitlichen Apothekenabgabepreise nach § 78 Abs 2 und 3 Arzneimittelgesetz (AMG) iVm § 3 Abs 1 Satz 1 Arzneimittel-Preisverordnung (AMPreisV) die Umsatzsteuer, den Apothekenrabatt, den Herstellerrabatt, die Eigenbeteiligung der Versicherten sowie die Zuzahlung der Versicherten abzog.

In einem Schreiben vom 22.8.2012 forderte das Bundesministerium der Finanzen (BMF) den GKV-Spitzenverband auf, seine Mitglieder über die umsatzsteuerrechtliche Behandlung von Arzneimittellieferungen ausländischer Apotheken an die Mitglieder inländischer gesetzlicher Krankenkassen zu informieren; in diesen Fällen liege regelmäßig ein innergemeinschaftlicher Erwerb gemäß § 1a Abs 1 Umsatzsteuergesetz (UStG) vor, bei dem die jeweilige gesetzliche Krankenkasse Schuldnerin der auf den Erwerb des Medikaments entfallenden Umsatzsteuer sei; die Lieferungen der ausländischen Apotheke seien hingegen in dem EU-Mitgliedstaat, in dem die Beförderung oder Versendung der Medikamente beginne, grundsätzlich umsatzsteuerfrei; die ausländischen Apotheken könnten unter bestimmten Umständen von einer seitens der Finanzverwaltung in Abschnitt 1a.2 Abs 14 Satz 2 Umsatzsteuer-Anwendungserlass (UStAE) aF zugelassenen Vereinfachungsregelung Gebrauch machen, wonach die jeweilige ausländische Apotheke die in Deutschland anfallende Umsatzsteuer schulde; in diesem Fall komme es ausnahmsweise zu keinem innergemeinschaftlichen Erwerb durch die Krankenkassen, sodass diese keine Umsatzsteuer abzuführen hätten.

Mit Schreiben vom 12.7.2012 hatte die Klägerin, die vorab vom Inhalt des Informationsschreibens des BMF vom 22.8.2012 erfahren hatte, bereits zuvor im Hinblick auf diese Rechtsauffassung des BMF die Beklagte um Angabe deren deutscher Umsatzsteuer-Identifikationsnummer, Vorlage einer Bestätigung, dass die Beklagte ihrer Steuerpflicht gegenüber einem deutschen Finanzamt nachkomme, Benennung des Finanzamts, an das die Umsatzsteuer abzuführen sei, und Angabe der entsprechenden Steuernummer gebeten; außerdem hatte sie die Vorlage eines Nachweises über die tatsächliche Abführung der Umsatzsteuer sowie einer Bestätigung der jeweiligen zuständigen niederländischen bzw deutschen Finanzbehörde gefordert, dass die Behörden mit der Anwendung der Vereinfachungsregelung nach Abschnitt 1a.2 Abs. 14 Satz 2 UStAE aF einverstanden seien. Hierfür hatte die Klägerin der Beklagten eine Frist bis zum 26.7.2012 gesetzt und diese darauf hingewiesen, dass sie bei nicht rechtzeitiger Vorlage dieser Dokumente eine Retaxierung der bisherigen und künftigen Arzneimittelabrechnungen vornehmen werde. Mit Schreiben vom 23.7.2012 hatte ...

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