Entscheidungsstichwort (Thema)

Schwerbehindertenrecht. Merkzeichen aG. Gleichstellung mit den in Abschn 2 Nr 1 zu § 46 Nr 11 StVOVwV genannten Personen. Gehstrecke von 20 bis 30 Metern. motorische Bewegungsfähigkeit. kognitive Störung. Verordnung eines Rollstuhls nicht ausreichend

 

Orientierungssatz

1. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens aG (erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr) sind nicht gegeben, wenn der behinderte Mensch zwar in ungewöhnlich hohem Maße in seiner Gehfähigkeit beeinträchtigt ist, er sich aber mit Handstock ohne größere Kraftanstrengung zumindest ca 20 bis 30 Meter fortbewegen kann.

2. Kognitive Störungen können nicht die gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens aG begründen. Es kommt darauf an, dass Beine und Füße die ihnen zukommende Funktion der Fortbewegung nicht oder nur unter besonderen Erschwernissen erfüllen.

3. Es genügt nicht, dass ein Rollstuhl verordnet wurde. Die Betroffenen müssen vielmehr ständig auf den Rollstuhl angewiesen sein, weil sie sich sonst nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung fortbewegen können.

 

Normenkette

SGB IX § 69 Abs. 4, 1 S. 5 Fassung: 2007-12-03; SchwbAV § 3 Abs. 1 Nr. 1; VersMedV § 2 Anl. Teil D Nr. 3; StVG § 6 Abs. 1 Nr. 14; StVO § 46 Abs. 1 Nr. 11; Vw-StVO Anschn. 2 Nr. 1

 

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Trier vom 16.05.2012 wird zurückgewiesen.

2. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Streitig ist zwischen den Beteiligten, ob bei dem 1950 geborenen Kläger die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen aG (außergewöhnliche Gehbehinderung) vorliegen.

Erstmals stellte der Kläger im September 2007 einen Antrag auf Feststellung einer Behinderung. Er gab an, er leide an einem Zustand nach Apoplex mit Hemiparese rechts, hirnorganischem Psychosyndrom, insulinpflichtigem Diabetes mellitus, Alkoholkrankheit, Hypertonie und Carpaltunnelsyndrom. Der Beklagte holte einen Befundbericht von Dr. D, praktischer Arzt, T, vom 19.11.2007 ein. Dieser führte aus, der Kläger leide u.a. an Depression mit akuten Anpassungsstörungen und Suizidversuchen. Vorgelegt wurde ein Arztbrief von Dr. W, S-Krankenhaus, W, Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie, vom 21.11.2002, in dem berichtet wurde, der Kläger sei freiwillig zur stationären Aufnahme gekommen. Wegen in alkoholisiertem Zustand geäußerten Selbstmordabsichten habe die Ehefrau die Polizei gerufen und der Kläger sei mit dem Krankenwagen zur Aufnahme gebracht worden. Dr. W legte in einem Entlassungsbericht vom 17.01.2006 als Diagnosen dar: Zustand nach Suizidversuch bei Anpassungsstörung (Partnerschaftskonflikt), psychische und Verhaltensstörungen durch Alkohol: Abhängigkeitssyndrom, nicht primär insulinabhängiger Diabetes mellitus (Typ 2-Diabetes) mit neurologischen Komplikationen: Nicht als entgleist bezeichnet und psychische und Verhaltensstörungen durch Alkohol: Entzugssyndrom. Privatdozent (PD) Dr. H, S-Krankenhaus, W, Abteilung für Neurologie, gab in seinem Arztbrief vom 14.06.2007 als Diagnosen an: Hinterer linksseitiger Capsula-interna-Infarkt mit armbetonter Hemiparese rechts und Facialisparese rechts sowie nicht flüssiger Aphasie, arterieller Hypertonus, Diabetes mellitus Typ 2, chronischer Alkoholmissbrauch und Nikotinabusus. Dr. M, Reha-Zentrum B, Abteilung für Neurologie, berichtete in seinem Arztbrief vom 15.08.2007, der Kläger habe sich vom 14.06.2007 bis zum 02.08.2007 zu einem stationären Aufenthalt in der Klinik befunden. Er sei aufgrund der noch bestehenden körperlichen und neurophysiologischen Defizite auf absehbare Zeit nicht in der Lage, einer Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nachzugehen. Dr. W legte in einem Entlassungsbericht vom 25.11.2007 dar, der Kläger habe sich zur stationären Behandlung vom 01.10.2007 bis zum 12.12.2007 in stationärer Behandlung befunden. Der Kläger komme nur sehr schwer mit seiner eingeschränkten Beweglichkeit bei Hemiparese nach dem im Mai erlittenen Schlaganfall zurecht. Nach Beiziehung einer sozialmedizinischen Stellungnahme stellte der Beklagte mit Bescheid vom 08.02.2008 bei einem Grad der Behinderung (GdB) von 100 als Beeinträchtigungen fest: 1. Halbseitenlähmung rechts nach Hirninfarkt (80), 2. Anpassungsstörung, hirnorganisches Psychosyndrom, Alkoholkrankheit (80) und 3. Diabetes mellitus (30). Die Voraussetzungen der Merkzeichen G und B wurden bejaht. Die Voraussetzungen der Merkzeichen aG, H, RF, 1. Klasse, Bl und Gl wurden verneint.

Im Juni 2010 leitete der Beklagte ein Überprüfungsverfahren ein. Dr. D führte in seinem Befundbericht vom 23.08.2010 aus, der Kläger sei im September 2009 stationär wegen eines Prostatakarzinoms behandelt worden. Im November 2009 habe eine Behandlung wegen eines Schlafapnoesyndroms stattgefunden. In dem beigezogenen Entlassungsbericht von Dr. L, S-Krankenhaus, W, vom 28.05.2009 wurden als Diagnosen angegeben: Entzugssyndrom bei Alkoholabhängigkeit, Hirninfarkt li...

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