Entscheidungsstichwort (Thema)

Verfahren zur Feststellung des Merkzeichens aG. Schwerbehindertenrecht. Merkzeichen aG. Gleichstellung mit den in Abschn 2 Nr 1 zu § 46 Nr 11 StVOVwV genannten Personen. halbseitige Lähmung. Rollstuhlfahrer. Restgehstrecke. Merkzeichen als Voraussetzung für Anhebung des Wohnraumbedarfs nach SGB 12

 

Leitsatz (amtlich)

1. Ein Zustand nach Hirnblutung mit einer verbleibenden Hemiparese und typischem Gangbild (Wernicke-Mann-Typ) rechtfertigt nicht die Feststellung einer außergewöhnlichen Gehbehinderung, wenn auch ohne Rollstuhl noch eine ausreichende Mobilität vorliegt. Es genügt nicht, dass außerhalb der Wohnung und für längere Wegstrecken ein Rollstuhl genutzt werden muss.

2. Es kann bei der Prüfung der Voraussetzungen für das Merkzeichen aG nicht berücksichtigt werden, dass die Versagung des Merkzeichens in anderen Lebensbereichen erhebliche Konsequenzen für den Kläger hat (hier: Wohnraumbedarf nach dem SGB XII).

 

Normenkette

SGB IX § 69 Abs. 4; StVG § 6 Abs. 1 Nr. 14; SchwbAwV § 3 Abs. 1 Nr. 1; StVO § 46 Abs. 1 Nr. 11; StVOVwV Abschn 2 Nr. 1 zu § 46 Nr. 11; VersMedV Teil D Nr. 3 der Anlage § 2

 

Tenor

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist umstritten, ob die Voraussetzungen für die Feststellung des Merkzeichens aG (außergewöhnliche Gehbehinderung) vorliegen.

Bei dem am ... 1949 geborenen Kläger stellte der Beklagte mit Bescheid vom 16. März 2007 ab 8. August 2006 einen Grad der Behinderung (GdB) von 80 sowie die Merkzeichen G (erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr) und B (Notwendigkeit ständiger Begleitung) wegen einer unvollständigen Halbseitenlähmung links nach Hirnblutung (am 19. Mai 2006) bei Bluthochdruck, Diabetes mellitus und einer Nierenfunktionseinschränkung rechts fest. Die Merkzeichen aG und H (hilflos) lehnte er ab. Dem lag der Bericht vom Aufenthalt des Klägers im Klinikum F. vom 21. Juni bis 9. August 2006 zugrunde. Danach habe bei Entlassung eine deutliche Kraftzunahme der linken Extremitäten vorgelegen, so dass der Kläger in der Lage gewesen sei, am anatomischen Gehstock ca. 100 Meter zu gehen. Dabei habe noch eine leichte Tonuserhöhung an den linken Extremitäten bestanden. Die Transferleistungen seien noch wegen des Konzentrationsmangels unsicher gewesen, so dass beispielsweise der Rollstuhl-Bett-Transfer und das Treppensteigen nur mit Hilfe einer Begleitperson möglich gewesen seien. Nach dem ebenfalls beigezogenen Pflegegutachten des Sozialmedizinischen Dienstes der ... vom 19. September 2006 sei der Kläger im Rollstuhl mobilisiert, könne auch kurze Distanzen mit einem Vier-Punkt-Stock und persönlicher Hilfe laufen (z. B. zur Toilette). Für längere Distanzen werde er im Rollstuhl gefahren.

Am 20. Juni 2008 beantragte der Kläger erneut das Merkzeichen aG, weil er ständig auf die Benutzung eines Rollstuhls angewiesen sei. Der Beklagte holte einen Befundschein des Facharztes für Allgemeinmedizin/Chirotherapie Dr. P. vom 31. Juli 2008 ein, der eine Hemiparese nach Apoplex und einen Diabetes mellitus diagnostizierte. Dr. P. teilte mit: Der Kläger benutze in der Wohnung eine Gehhilfe, außerhalb der Wohnung einen Elektrorollstuhl. Auf diesen sei er außerhalb der Wohnung auch zwingend angewiesen. Es liege ein typisches Gangbild mit Funktionsstörungen im Bereich des Armes/der Hand bei Hemiparese vor. Nach Beteiligung seines ärztlichen Dienstes, der weiterhin einen Gesamt-GdB von 80 vorschlug (unvollständige Halbseitenlähmung links nach Hirnblutung bei Bluthochdruck GdB 70, Diabetes mellitus GdB 30, Nierenfunktionseinschränkung GdB 20), lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 13. Oktober 2008 die Feststellung des Merkzeichens aG ab und führte aus: Lediglich die Voraussetzung für eine Parkerleichterung lägen vor, weil der Kläger aufgrund seiner Behinderungen zum Ein- und Aussteigen auf das vollständige Öffnen der Türen und somit auf Parkmöglichkeiten von besonderer Breite angewiesen sei. Dazu erteilte er eine Bescheinigung für die Straßenverkehrsbehörde im Wege der Amtshilfe (Antrag auf Erteilung einer Ausnahmegenehmigung zur Bewilligung von Parkerleichterungen für schwerbehinderte Menschen).

Dagegen legte der Kläger am 16. Oktober 2008 Widerspruch ein und trug vor: Seit seinem Schlaganfall leide er an einer mittelschweren körperlichen Behinderung, nämlich einer leichten armbetonten Hemiparese links mit Gangunsicherheit, und sitze daher in einem Rollstuhl. Nur wenn er auch das Merkzeichen aG habe, sei es ihm möglich, eine behindertengerechte Wohnung mit einer Flächenerhöhung um 15 qm zu beziehen. Die gewährte Parkerleichterung sei für ihn wertlos, da er kein Kraftfahrzeug fahre. Mit Widerspruchsbescheid vom 18. März 2009 wies der Beklagte den Widerspruch zurück und verwies auf die nochmalige Prüfung der ärztlichen Unterlagen. Danach sei der Kläger nicht dem Personenkreis der außergewöhnlich gehbehinderten Menschen gleichzustellen.

Am 21. März 2009 hat der...

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