Entscheidungsstichwort (Thema)

Schwerbehindertenrecht. GdB-Feststellung. Versorgungsmedizinische Grundsätze. Hörstörungen. grundsätzliche Berücksichtigung eines Teilausgleichs durch Hörhilfen. kein zufriedenstellender Hörerfolg mit getesteten Hörgeräten. GdB-Tabelle. Gesamt-GdB-Bildung

 

Orientierungssatz

1. Die in der GdB-Tabelle der Versorgungsmedizinischen Grundsätze (VMG) enthaltenen Werte zur Schwerhörigkeit berücksichtigen zwar die Möglichkeit eines Teilausgleichs durch Hörhilfen mit (vgl Teil B Nr 5 VMG). Einschränkungen des Hörvermögens können durch die in der Tabelle D in Teil B Nr 5.2.4 VMG vorgegebenen GdB-Werte aber auch dann ausreichend abgebildet sein, wenn für den behinderten Menschen mit getesteten Hörsystemen kein zufriedenstellender Hörerfolg erreicht werden kann.

2. Zur Bildung eines Gesamt-GdB unter zusätzlicher Berücksichtigung einer psychischen Störung (Teil B Nr 3.7 VMG) sowie eines Schlaf-Apnoe-Syndroms (Teil B Nr 8.7 VMG).

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 30.10.2023; Aktenzeichen B 9 SB 10/23 B)

 

Tenor

1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 01.02.2022 wird zurückgewiesen.

2. Außergerichtliche Kosten sind im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Höhe des Grades der Behinderung (GdB) der Klägerin nach dem Sozialgesetzbuch Neuntes Buch - Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen - (SGB IX).

Die 1960 geborene Klägerin stellte am 19.02.2018 erstmals einen Antrag auf Feststellung einer Behinderung beim Beklagten. Sie gab an, an folgenden Gesundheitsstörungen zu leiden: Zweimaliger Hörsturz, Tinnitus, schwere depressive Episode bei depressiver Störung, kombinierte Persönlichkeitsstörung mit selbstunsicheren und zwanghaften Anteilen, Hypothyreose, Rückenschmerzen nach zwei Bandscheibenvorfällen und degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule, Skoliose, Nackenschmerzen, Beckenschiefstand mit Beinverkürzung rechts, chronische Bronchitis, Anämie, Verengung der Nase bei zweimaliger Nasenscheidewandoperation, Senk-/Spreizfuß beidseits, Fehlstellung kleiner Zeh rechts, Hitzewallungen, Herzrasen, Schwitzattacken, Sigmaelongation und Borrelioseinfektion 2016. Sie sei seit November 2015 arbeitsunfähig erkrankt und seit Juli 2017 arbeitslos nach 45-jähriger Berufstätigkeit. Der Druck auf ihrer Arbeitsstelle sei immer größer geworden. Sie habe jetzt einen Antrag auf Rente gestellt. Wegen psychischer Beschwerden habe sie eine Maßnahme der Agentur für Arbeit vorzeitig abgebrochen. Nach ihrem zweiten Hörsturz sei sie auf dem linken Ohr so gut wie taub. Der dauerhafte Tinnitus belaste sie sehr. Mit ihrem Antrag legte die Klägerin verschiedene ärztliche Befundunterlagen vor, u.a. einen Arztbrief des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. K vom 07.05.2016 (Diagnose: Schwere depressive Episode auf dem Boden einer Anpassungsstörung, einhergehend mit einer sozialen Phobie bei Hinweisen für eine ängstlich-vermeidende, selbstunsichere und dependente Primärpersönlichkeit), Arztbriefe der Orthopädin Steiger vom 10.05.2016 und vom 26.10.2017 (Diagnosen: Osteochondrose lumbal und cervical, Skoliose, Senk-Spreiz-Fuß beidseits, Lumboischialgie links), einen Entlassungsbericht der R -M -Fachklinik A vom 11.10.2016 betreffend eine teilstationäre tagesklinische Behandlung in der Zeit vom 29.08.2016 bis zum 07.10.2016 (Diagnosen: Schwere depressive Episode bei rezidivierender depressiver Störung, kombinierte Persönlichkeitsstörung mit selbstunsicheren und zwanghaften Anteilen, Hypotyreose), einen Arztbrief des Zentrums für HNO und Kommunikationsstörung des K Klinikums K vom

18.09.2017 (Diagnosen: Rezidivhörsturz links, Zustand nach (Z.n.) Hörsturz, Hypothyreose) und ein in einem Rentenverfahren vor dem Sozialgericht (SG) Koblenz (Az. S 10 R 146/17) eingeholtes nervenärztliches Gutachten von Dr. L vom 23.07.2017 (Diagnosen: Anpassungsstörung mit reaktiv depressiven Anteilen; Dysthymia; selbstunsichere, ängstliche Persönlichkeitsstörung).

Der Beklagte zog ein nervenärztliches Gutachten des Neurologen und Psychiaters E vom 20.12.2016 bei, das im Auftrag der Deutschen Rentenversicherung (DRV) Rheinland-Pfalz erstattet wurde (Diagnosen: Dysthymie, Anpassungsstörung (Arbeitsplatzkonflikt), Somatisierungsstörung (Stütz- und Bewegungsapparat)), und holte einen Befundbericht beim HNO-Arzt Dr. S vom 28.02.2018 ein (Diagnosen: Rezidivhörsturz links, Hörgeräteversorgung links seit Januar 2018).

Nach Einholung einer gutachtlichen Stellungnahme (Dr. Z vom 20.03.2018) stellte der Beklagte mit Bescheid vom 26.03.2018 einen GdB von 20 ab 19.02.2018 fest aufgrund der Behinderungen psychische Störung (depressive Störung) und Schwerhörigkeit, die mit Einzel-GdB von jeweils 20 bewertet wurden.

Hiergegen legte die Klägerin Widerspruch ein. Ihre erheblichen psychischen Beschwerden seien nicht ausreichend berücksichtigt worden. Ihre Schwerhörigkeit sei erheblich schwerer einzustufen und ihr Tinnitus sei zu berücksichtige...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge