Entscheidungsstichwort (Thema)

Bedeutung der Rechtsmacht im Rahmen der Feststellung von Versicherungspflicht. Abgrenzung. abhängige Beschäftigung. selbständige Tätigkeit

 

Leitsatz (amtlich)

1. Bei der Prüfung, ob ein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis vorliegt, kommt der in vertraglichen Regelungen festgehaltenen Rechtsmacht des Arbeitgebers bzw. Arbeitnehmers jedenfalls dann vorrangige Bedeutung gegenüber den tatsächlichen Verhältnissen zu, wenn eine Änderung des Vertrags nur in schriftlicher Form möglich ist. Fehlen vertragliche Regelungen oder weichen die tatsächlichen Verhältnisse von Vereinbarungen ab, die nicht der Schriftformklausel unterliegen, sind insoweit die tatsächlichen Verhältnisse vorrangig im Rahmen der Gesamtwürdigung zu berücksichtigen.

2. Eine Übertragung des Stimmrechts in der Gesellschafterversammlung vom Gesellschafter an einen Angestellten führt im Rahmen der Gesamtbetrachtung nicht allein zur Verneinung eines versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 11.11.2015; Aktenzeichen B 12 R 2/14 R)

 

Tenor

1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Mainz vom 09.09.2011, berichtigt durch Beschluss vom 29.12.2011, aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.

2. Außergerichtliche Kosten des Rechtsstreits sind nicht zu erstatten.

3. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger in seiner Tätigkeit für die Beigeladene zu 1) ab 01.01.2007 der Versicherungspflicht unterliegt.

Der 1955 geborene Kläger ist mit der 1956 geborenen U verheiratet, die eine Kaufmannsausbildung absolviert hat; ihr gemeinsamer Sohn P K ist 1989 geboren und als Pilot tätig. Der Kläger hat 1980 den Studiengang Bauingenieurwesen mit dem Abschluss Dipl.-Ing. (FH) abgeschlossen und war anschließend als Bauingenieur, Planer und Statiker in verschiedenen Ingenieurbüros tätig. Daneben übt er seit 1981 eine freiberufliche Tätigkeit in einem eigenen Ingenieurbüro aus. Nach seinen Angaben beträgt seine Wochenarbeitszeit mindestens 70 Stunden, wobei hier auch die Arbeitszeit für die Projektbetreuung der Beigeladenen zu 1) enthalten ist. Als selbstständiger Architekt ist er seit 14.02.2007 Pflichtmitglied der B A . Er ist privat kranken- und pflegeversichert und war zuletzt im Jahr 1988 bei der Beigeladenen zu 3) gesetzlich kranken- sowie bei der Beigeladenen zu 4) pflegeversichert.

Mit Gesellschaftsvertrag vom 09.10.1997 errichteten die Ehefrau des Klägers und Frau I S die S I (Beigeladene zu 1) mit einer Stammeinlage von jeweils 25.000,00 DM und dem Sitz in W. Gegenstand des Unternehmens ist die wirtschaftliche Vorbereitung und Durchführung von Bauvorhaben als Baubetreuer und Bauherr, - eigene bauausführende Gewerbetätigkeiten werden ausgeschlossen -, die Vermittlung von Grundstücken nebst Gebäuden, grundstücksgleichen Rechten, gewerblichen Räumen, Wohnräumen, Darlehen (d.h. Vermittlung von Finanzierungen) und Versicherungen, der An- und Verkauf von bebauten und unbebauten Grundstücken im In- und Ausland sowie Haus- und Wohnungsverwaltungen jeglicher Art.

In der alljährlichen ordentlichen Gesellschafterversammlung hat die Geschäftsführung über das wirtschaftliche und finanzielle Ergebnis des Vorjahres, einschließlich der Vorlage des Jahresabschlusses nebst Anhang, Bilanz, Gewinn- und Verlustrechnung und Lagebericht sowie über den Stand der laufenden Geschäfte und der Planung für das laufende Geschäftsjahr Bericht zu erstatten. Diese Gesellschafterversammlung hat das vorliegende Jahresergebnis festzustellen und über die Verteilung des Reingewinns zu beschließen. Die Beschlüsse der Gesellschafterversammlung werden mit einfacher Mehrheit des bei der Abstimmung vertretenen Stammkapitals gefasst. Je 500,00 DM gezeichnete Stammeinlage vermitteln dem Gesellschafter eine Stimme. Die Gesellschafterversammlung ist nur beschlussfähig, wenn mindestens 61 % des vorhandenen Stammkapitals vertreten ist. Die nächste neu einzuberufende Versammlung ist dann unbeschränkt beschlussfähig. Beschlüsse über Kapitalerhöhungen und Kapitalherabsetzungen, Satzungsänderungen und über die Auflösung der Gesellschaft erfordern eine Mehrheit von ¾ des vorhandenen Stammkapitals. Jeder Gesellschafter kann sich in der Gesellschafterversammlung durch einen Mitgesellschafter, durch seinen Ehegatten, durch einen Rechtsanwalt oder einen Steuerberater vertreten lassen. Die Vollmacht kann auch auf unbestimmte Zeit erteilt werden. In diesem Fall ist sie während ihrer Gültigkeit bei der Geschäftsleitung zu hinterlegen. Jede Vollmacht, die ein Gesellschafter zur Wahrnehmung seiner Rechte in der Gesellschafterversammlung erteilt, kann widerrufen werden, und zwar auch dann, wenn der Gesellschafter sie unwiderruflich gestellt hat. Der Widerruf einer Vollmacht ist wirksam, wenn der Geschäftsführung die Erklärung des Widerrufs durch den betreffenden Gesellschafter vorliegt. (§ 7 des Gesellschaftsvertrags). Als je einzelvertretungsberechtigte Geschäftsführer wurden die Gesellschaf...

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