Leitsatz (amtlich)
1. Der zusätzliche Vorbereitungsdienst umgesiedelter oder vertriebener Juristen zur Einarbeitung in deutsches Recht mit abschließender Eignungsprüfung ist keine Ausfallzeit. Er ist auch keine Ersatzzeit, selbst wenn er im Anschluß an die Umsiedlung oder Vertreibung bzw die Kriegsgefangenschaft mit nachfolgender Krankheit und Arbeitslosigkeit (Ersatzzeittatbestände) geleistet wurde.
2. Dieser Vorbereitungsdienst unterbrach nicht den zeitlichen Zusammenhang einer anschließenden Arbeitslosigkeit mit den vorausgegangenen Ersatzzeittatbeständen, so daß die Arbeitslosigkeit noch eine Ersatzzeit ist (Fortführung von BSG 1976-05-04 1 RA 49/75 = SozR 2200 § 1251 Nr 21).
Verfahrensgang
SG Speyer (Urteil vom 09.03.1977; Aktenzeichen S 7 A 116/75) |
Tenor
1. Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Speyer vom 9. März 1977 und der Rentenbescheid der Beklagten vom 10. Oktober 1977 geändert.
Die Beklagte wird verurteilt, bei dem vorgezogenen Altersruhegeld des Klägers die Monate September und Oktober 1936 als weitere Beschäftigungszeit nach § 16 FRG und die Zeit von Oktober bis Dezember 1949 als weitere Ersatzzeit anzurechnen.
2. Im übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
3. Die Beklagte hat dem Kläger 1/4 der außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.
4. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Nachentrichtung von Beiträgen und die Anrechnung weiterer Zeiten bei dem vorgezogenen Altersruhegeld des Klägers.
Der am … 1910 geborene Kläger studierte Rechts- und Staatswissenschaften und promovierte an der deutschen Universität in P.. Vom 11. November 1976 bis zum 30. April 1937 war er Advokaturskandidat bei Rechtsanwalt Dr. H. in K. und anschließend Richteramtsanwärter in Pi. und P.. Nach dem Anschluß des Sudetenlandes an Deutschland wurde der Kläger als Gerichtsreferendar übernommen, legte die große Staatsprüfung ab, wurde am 19. Februar 1940 als Soldat zur deutschen Wehrmacht eingezogen und während des Kriegsdienstes zum Amtsgerichtsrat ernannt. Er kehrte am 2. August 1948 aus russischer Kriegsgefangenschaft zurück. Seit 7. August 1948 lebt er in der Bundesrepublik. Ab 25. Oktober 1948 leistete der Kläger einen Vorbereitungsdienst von neun Monaten zur Einarbeitung in deutschen Recht, die vorgeschriebene Eignungsprüfung legte er zum nächstmöglichen Termin am 28. Oktober 1949 vor dem Landesjustizprüfungsamt München erfolgreich ab. Danach war er zunächst arbeitslos und dann ab Januar 1950 – unterbrochen durch wiederholte Arbeitslosigkeit – als juristischer Mitarbeiter bei verschiedenen Rechtsanwälten tätig (Januar bis Juli 1950 bei Rechtsanwalt Dt. E. in T., August und September 1951 bei Rechtsanwalt L., im Bad R., anschließend bis Mai 1952 und erneut im August und September 1952 bei Rechtsanwalt Dr. W. in Bad R., von Januar 1953 bis 15. Juni 1954 bei Rechtsanwalt H. in K. und zuletzt vom 16. Juni 1954 bis zum 13. März 1973 bei Rechtsanwalt Dr. Sch. in K.). Versicherungsbeiträge entrichteten Rechtsanwalt L. und ab Januar 1959 Rechtsanwalt Dr. Sch.. Für die übrigen Zeiten wurden von keinem Arbeitgeber des Klägers Versicherungsbeiträge geleistet. Die Beiträge für August und September 1951 sowie für Januar 1959 bis September 1961 wurden nach § 73 Abs. 2 des Gesetzes zu Art. 151 Grundgesetz – der Kläger bezieht nach diesem Gesetz Versorgungsbezüge – erstattet. Für die Zeit von Januar 1956 bis September 1961 hat der Kläger Beiträge nach Art. 2 § 49 a Abs. 2 Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetz (AnVNG) nachentrichtet.
Im Juli 1974 beantragte der Kläger bei der Beklagten und bei der AOK Kaiserslautern die Zulassung der Nachentrichtung bzw. die Nacherhebung von Pflichtbeiträgen nach § 140 Angestelltenversicherungsgesetz (AVG) aus einem Arbeitsentgelt von 10.000,– DM. In einem Arbeitsgerichtsprozeß hatte der Kläger von Rechtsanwalt Dr. Sch. Schadensersatz wegen unterlassener Beitragsleistung für die Zeit von Juni 1954 bis Dezember 1958 und höhere Gehaltszahlungen für die zurückliegenden Jahre gefordert, weil seine Leistungen nicht angemessen vergütet worden seien. Nach erfolglosem Klage- und Berufungsverfahren (Arbeitsgericht Kaiserslautern 2 Ca 781/70 und Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz 3 Sa 186/72) hat der Kläger am 19. Juni 1974 vor dem Bundesarbeitsgericht (5 AZR 669/73) einen Vergleich geschlossen, in dem Rechtsanwalt Dr. Sch. und dessen SOZIUS sich verpflichteten, an den Kläger 10.000,– DM zur. Abgeltung aller gegenseitiger Ansprüche – gleich welcher Rechtsnatur – aus den beendeten Arbeitsverhältnis zu zahlen. Die Beklagte lehnte den Antrag auf Nachentrichtung von Beiträgen nach § 140 Abs. 2 und Abs. 3 AVG durch Bescheid vom 16. Januar 1975 und die AOK Kaiserslautern den Antrag auf Nachentrichtung nach § 140 Abs. 1 AVG oder auf Nacherhebung von Beiträgen durch Bescheid vom 7. Oktober 1976 ab, weil die im Vergleich vereinbarten 10.000,– DM kein beitragspflichtiges Entgelt seien und auch kein Härtefall nach § 140 Abs. 2 und Abs. 3 AVG ...