Leitsatz (amtlich)

Hat eine KK die Versicherungspflicht irrtümlich verneint und hat der dadurch beschwerte Versicherungsträger diese Entscheidung rechtzeitig angefochten, dann kann die KK ihren Bescheid zurücknehmen und die noch nicht verjährten Versicherungsbeiträge ohne eine Interessenabwägung - also ohne Rücksicht auf die durch den fehlerhaften Bescheid begünstigten Arbeitgeber und Arbeitnehmer (vergleiche BSG 1966-05-25 3 RK 37/62 = BSGE 25, 34) - nachfordern.

 

Verfahrensgang

SG Koblenz (Urteil vom 25.04.1975; Aktenzeichen S 2 K 13/75)

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 20.10.1977; Aktenzeichen 12 RK 18/76)

 

Tenor

1. Auf die Berufungen der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte und der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 25. April 1975 geändert:

Die Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 19. März 1974 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. September 1974 wird abgewiesen, soweit sie die Nachforderung von Angestelltenversicherungsbeiträgen für die Zeit vom 1. Dezember 1971 bis zum 28. Februar 1974 betrifft.

2. Die weitergehende Berufung der Beklagten wird als unzulässig verworfen.

3. Außergerichtliche Kosten sind in keines der beiden Rechtszüge zu erstatten.

4. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Klägerin wendet sich gegen eine Nachforderung von Rentenversicherungsbeiträgen durch die Beklagte.

Die Klägerin ist ein gemeinnütziger Verein. Sie hat ihren Sitz in B.-O. 1 (Westfalen), ihre Hauptverwaltung befindet sich in K.. Die Klägerin ist Trägerin unter anderem des Rehabilitationszentrums für Körperbehinderte „H.-Haus E.” in N.-E.. An der Heimberufsschule dieses Hauses unterrichtet die Beigeladene Sch. in den Fächern Kurzschrift und Maschinenschreiben. Mit Schreiben vom 19. Februar 1971 fragte der Direktor des H.-Hauses bei der Beklagten an, ob Frau Sch. versicherungspflichtig sei oder nicht. In dem Schreiben heißt es, Frau Sch. unterrichte an einen Tag wöchentlich sechs Stunden und erholte dafür eine Vergütung von monatlich 294,– DM. Die Beklagte antwortete mit Schreiben vom 29. April 1971, Frau Sch. sei ohne Rücksicht auf die Höhe des Entgelte versicherungsfrei, da sie nicht mehr als 75 Tage im Jahr arbeite.

Die Beigeladene Sch. verdiente ab 1. August 1971 monatlich 336,– DM. Auf die erneute Anfrage des Direktors des H.-Hauses, ob Frau Sch. wegen des höheren Verdienstes versicherungspflichtig sei, teilte die Beklagte durch Schreiben vom 9. Februar 1972 mit, Frau Sch. sei weiterhin versicherungsfrei.

Durch Schreiben vom 24. August 1973 bat die Beklagte die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) um ihre Stellungnahme zur Frage der Versicherungspflicht bzw. Versicherungsfreiheit der Beigeladenen Sch.. Die Beklagte verwies dazu auf den Inhalt der Verwaltungsakte, die sie der BfA mit ihrem Anschreiben vorlegte. Die BfA erwiderte mit Schreiben vom 31. August 1973, sie halte die Frau Sch. für angestelltenversicherungspflichtig, weil es sich um keine Aushilfsbeschäftigung nach § 4 Abs. 2a Angestelltenversicherungsgesetz (AVG) und wegen der Höhe des monatlichen Entgelts auch um keine Nebenbeschäftigung nach § 4 Abs. 2b AVG handele.

Durch Schreiben vom 11. Februar 1974 an das H.-Haus stellte die Beklagte fest, Frau Sch. sei versicherungspflichtig zur Krankenversicherung und zur Rentenversicherung der Angestellten, Beiträge seien ab 1. Januar 1974 zu leisten, für die Vergangenheit würden keine Beiträge erhoben. Durch Schreiben vom 5. März 1974 beanstandete die BfA, daß die Beklagte keine Beiträge nachfordern wolle; sie wies die Beklagte darauf hin, rückständige Angestelltenversicherungspflichtbeiträge seien stets im Rahmen der Verjährungsvorschrift des § 29 Abs. 1 Reichsversicherungsordnung (RVO) einzuziehen. Daraufhin forderte die Beklagte das H.-Haus durch Schreiben vom 19. März 1974 auf, die Beiträge bereits ab 1. Dezember 1971 nachzuzahlen. Dagegen erhob das H.-Haus Widerspruch und führte aus: Die Beklagte dürfe ihre früheren Entscheidungen über die Versicherungsfreiheit der Frau Sch. im Interesse der Rechtssicherheit für die Vergangenheit nicht aufheben. Insoweit sei sie an ihre Entscheidungen, die begünstigende Verwaltungsakte darstellten, gebunden. Wegen die Feststellung der Versicherungspflicht mit Wirkung für die Zukunft sei nichts einzuwenden. Allerdings unterrichte Frau Sch. ab 1. März 1974 nur noch vier Stunden wöchentlich. Sie erhalte dafür eine monatliche Vergütung, die unter der für den Eintritt der Sozialversicherungspflicht maßgebenden Einkommensgrenze von monatlich 312,50 DM liege.

Die Widerspruchsstelle der Beklagten wies den Widerspruch des H.-Hauses durch Widerspruchsbescheid vom 18. September 1974 mit im wesentlichen der gleichen Begründung wie im angefochtenen Bescheid vom 19. März 1974 zurück.

Auf den Widerspruchsbescheid hin hat das H.-Haus am 20. September 1974 die Klage erheben und nach wie vor die Ansicht vertreten, die Beklagte habe die begünstigenden Bescheide über die Feststellung der Versicherungsfreiheit von Frau Sch. rückwirkend nicht aufheben...

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