Leitsatz (amtlich)
1. Der Arbeitsdienst der weiblichen Versicherten der Geburtsjahrgänge bis einschließlich 1919 wurde nicht aufgrund gesetzlicher Dienstpflicht geleistet und ist deshalb keine Ersatzzeit.
2. Mußte der Arbeitsdienst als Voraussetzung für die Aufnahme eines Studiums geleistet werden, ist er ebenfalls keine Ersatzzeit und auch keine Ausfallzeit. Ein Verfassungsverstoß liegt nicht vor.
Verfahrensgang
SG Speyer (Urteil vom 27.01.1976; Aktenzeichen S 4 A 185/75) |
Nachgehend
Tenor
1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Speyer vom 27. Januar 1976 wird zurückgewiesen.
2. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt von der Beklagten, ihren Arbeitsdienst vom 1. April bis zum 30. September 1936 als Ersatzzeit anzuerkennen.
Die am … 1917 geborene Klägerin leistete nach dem im März 1936 abgelegten Abitur den Arbeitsdienst und erhielt darüber ein Arbeitsdienstzeugnis des deutschen Frauenarbeitsdienstes. Im Jahre 1941 begann die Klägerin ihr Studium der Volkswirtschaft an der Universität R.. Sie konnte es nicht beenden, weil sie wegen der Kriegsereignisse flüchtete.
Durch Bescheid vom 6. Februar 1974 hat die Beklagte die Anerkennung der Arbeitsdienstzeit als Ersatzzeit abgelehnt, weil die Klägerin nicht zu den dienstpflichtigen Geburtsjahrgängen gehört und den Arbeitsdienst somit freiwillig geleistet habe. Mit dem dagegen erhobenen Widerspruch hat die Klägerin geltend gemacht, sie sei dienstpflichtig gewesen, weil sie als Voraussetzung für die Aufnahme des Studiums den Arbeitsdienst habe leisten müssen. Durch Widerspruchsbescheid vom 19. August 1975 hat die Widerspruchsstelle der Beklagten den Widerspruch mit im wesentlichen der gleichen Begründung wie im Ablehnungsbescheid zurückgewiesen.
Am 29. August 1975 hat die Klägerin die Klage zum Sozialgericht Speyer erhoben.
Sie hat vorgetragen: Die studentische Arbeitsdienstpflicht sei eine echte Sonderdienstpflicht gewesen, die durch staatliche Regelungen angeordnet werden sei. Nach dem 26. Juni 1935 habe das Reichsarbeitsdienstgesetz die Grundlage für die Sonderarbeitsdienstpflichten im Hochschulbereich gebildet. Die Arbeitsdienstpflicht für Abiturienten und Studenten sei nur eine Konkretisierung der für jeden deutschen Jugendlichen beiderlei Geschlechts bestehenden allgemeinen Arbeitsdienstpflicht gewesen. Deshalb sei auch bestimmt worden, daß die allgemeine Reichsarbeitsdienstpflicht durch den Arbeitsdienst aufgrund besonderer Arbeitsdienstpflicht als Student als erfüllt gegolten habe. Sie erfülle diese Voraussetzungen, so daß ihr Arbeitsdienst entsprechend dem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 1. März 1974 (Sozialrecht 2200 Nr. 3 zu § 1251 Reichversicherungsordnung –RVO–) als Ersatzzeit anerkannt werden müsse.
Die Beklagte hat mit dem Hinweis auf die Rechtsprechung des BSG zum Arbeitsdienst der männlichen Versicherten die Anerkennung als Ersatzzeit weiterhin abgelehnt, weil die Klägerin als Angehörige des Geburtsjahrganges 1917 nicht dienstpflichtig geworden sei und deshalb niemals zum Reichsarbeitsdienst einberufen worden wäre. Daß der Arbeitsdienst als Voraussetzung für die Aufnahme eines Studiums habe geleistet werden müssen, habe – so hat die Beklagte gemeint – keine allgemeine gesetzliche Dienstpflicht begründen können, weil die im Zusammenhang mit der Aufnahme eines Studiums stehende Dienstleistungspflicht nur für einen begrenzten Personenkreis gegolten habe.
Das Sozialgericht hat eine Auskunft des Bundesarchivs – Zentralnachweisstelle – eingeholt. In der schriftlichen Auskunft vom 15. Januar 1976 heißt es, Reichsarbeitsdienstpflicht habe für die ledigen weiblichen Angehörigen der Geburtsjahrgänge 1914 bis 1922 bestanden, es seien aber nur die Angehörigen des Geburtsjahrganges 1920 und jüngerer Geburtsjahrgänge erfaßt und gemustert worden.
Durch Urteil vom 27. Januar 1976 hat das Sozialgericht Speyer die Klage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen hat es dazu im wesentlichen ausgeführt: Die Reichsarbeitsdienstpflicht für die weibliche Jugend habe aufgrund des Reichsarbeitsdienstgesetzes vom 9. September 1939 frühestens am 1. September 1939 begonnen. Während der Arbeitsdienstleistung der Klägerin im Jahre 1936 habe also keine Reichsarbeitsdienstpflicht bestanden. Die mit dem Reichsarbeitsdienstgesetz eingeführte Dienstpflicht sei auch nicht nachträglich als erfüllt anzusehen, weil die Angehörigen des Geburtsjahrganges, dem die Klägerin angehöre, nicht zum Reichsarbeitsdienst einberufen worden seien. Die Klägerin hätte also auch dann keine Ersatzzeit im Sinne von § 28 Abs. 1 Nr. 1 Angestelltenversicherungsgesetz (AVG) zurückgelegt, wenn sie keinen freiwilligen Arbeitsdienst geleistet hätte. Soweit der Arbeitsdienst als Voraussetzung für die Aufnahme eines Studiums zu leisten gewesen sei, habe es sich lediglich um eine besondere Zulassungsvoraussetzung zum Studium gehandelt, von ...