Entscheidungsstichwort (Thema)

Zur Rückforderung einer sog Urteilsrente. Vertrauensschutzprüfung. Anhörung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Leistungen, die auf ein entsprechendes aber angefochtenes Urteil der ersten Instanz hin gemäß § 154 Abs 2 SGG erfolgen und in einem so genannten Ausführungsbescheid des Leistungsträgers der Höhe nach festgestellt werden, sind "ohne Verwaltungsakt" iS von § 50 Abs 2 SGB 10 zu Unrecht erbracht. Selbst wenn man den Ausführungsbescheid zur Höhe als Verwaltungsakt betrachtet, entfällt er mit der Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils im Berufungsverfahren "automatisch" ohne Prüfung des Vertrauensschutzes des Empfängers der so genannten "Urteilsrente".

2. Da die Rückabwicklung der ausgezahlten Sozialleistungen nicht aufgrund eines Verwaltungsverfahrens erfolgt, ist eine Anhörung nach § 24 SGB 10 vor der Mitteilung der Rückzahlungspflicht nicht erforderlich.

3. Nach § 50 Abs 2 S 2 SGB 10 iVm § 45 SGB 10 hat der Leistungsträger nach Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils im Rahmen der Geltendmachung des Erstattungsanspruchs eine Vertrauensschutzprüfung vorzunehmen. Ihr Umfang wird durch die entsprechende Anwendung des § 45 Abs 4 S 1 SGB 10 bestimmt, wonach der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit nur in den Fällen von Abs 2 S 3 und Abs 3 S 2 des § 45 SGB 10 zurückgenommen werden kann.

4. Ein solcher Hinweis in einem Ausführungsbescheid darauf, dass die Urteilsleistung zu erstatten ist, falls das erstinstanzliche Urteil aufgehoben wird, schließt nach Sinn und Zweck des § 45 Abs 2 S 3 Nr 3 SGB 10 grundsätzlich die Gutgläubigkeit des Leistungsempfängers aus.

 

Tenor

1. Auf die Berufung des Beklagten werden das Urteil des Sozialgerichts Speyer vom 24.04.2003 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

2. Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über eine Rückforderung von Versorgungsbezügen nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG).

Die Klägerin ist die Witwe und Sonderrechtsnachfolgerin des 1914 geborenen und am 2002 verstorbenen E B (Beschädigter).

Bei dem Beschädigten hatte das Versorgungsamt Landau mit Bescheid vom 17.10.1958 verschiedene Gesundheitsstörungen als Schädigungsfolgen nach dem BVG mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 80 vH anerkannt.

Mit Bescheid vom 07.05.1996 und Widerspruchsbescheid vom 05.03.1997 lehnte die Versorgungsverwaltung einen Neufeststellungsantrag des Klägers ab, da eine wesentliche Verschlimmerung der Schädigungsfolgen nicht eingetreten sei. Ein Antrag auf Gewährung von Pflegezulage wurde mit Bescheid vom 08.05.1996/Widerspruchsbescheid vom 06.03.1997 abgelehnt, da die Schädigungsfolgen keine wesentliche Mitursache für die Hilflosigkeit des Klägers darstellten.

Im hiergegen vor dem Sozialgericht Konstanz durchgeführten Klageverfahren gab das beklagte Land ein Vergleichsangebot ab und verpflichtete sich, dem Beschädigten rückwirkend am 01.10.1995 Pflegezulage der Stufe I zu gewähren. Nachdem der Beschädigte dieses Angebot nicht angenommen hatte, wies das Sozialgericht die Klage mit Urteil vom 28.07.1999 ab, soweit sie hinsichtlich der Pflegezulage über das Vergleichsangebot des Landes hinausging.

Mit Bescheid vom 29.11.1999 führte das Amt für soziale Angelegenheiten Landau des Urteil des Sozialgerichts Konstanz aus; neben der Pflegezulage Stufe I gewährte es dem Beschädigten als Empfänger einer Pflegezulage Ehegattenzuschlag sowie die Hälfte der Ausgleichsrente. Der Bescheid enthielt den Hinweis, im Hinblick auf die eingelegte Berufung ergehe er unter dem Vorbehalt einer weiteren gerichtlichen Entscheidung; mit Bescheid vom 06.12.1999 gewährte der Beklagte dem Beschädigten Zinsen für die nachgezahlten Leistungen in Höhe von 4.029,33 DM.

Im vor dem Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg durchgeführten Berufungsverfahren (L 8 V 4389/99) wies das LSG die Klage auf die Anschlussberufung des Beklagten hin mit Urteil vom 11.05.2001 in vollem Umfang ab und die Berufung des Beschädigten zurück, da dem Beschädigten kein Anspruch auf Pflegezulage zustehe.

Mit Bescheid vom 27.06.2001 entschied das Amt für soziale Angelegenheiten Landau, dem Beschädigten ständen die aufgrund des Urteils des Sozialgerichts Konstanz mit Bescheiden vom 29.11.1999 sowie 06.12.1999 gewährten Leistungen nicht zu. Ab 01.08.2001 werde die Zahlung dieser Leistungen eingestellt. Der Beschädigte habe die ohne Rechtsgrund ab 01.10.1995 gezahlten Versorgungsbezüge (Pflegezulage Stufe I, Ausgleichsrente, Ehegattenzuschlag und Zinsen) in Höhe von 75.660,33 DM nach § 50 Sozialgesetzbuch - Zehntes Buch (SGB X) zurückzuzahlen. Entsprechend den Ausführungen dieses Bescheids passte der Beklagte die Versorgungsbezüge mit Bescheid vom 02.07.2001 neu an.

Hiergegen legte der Beschädigte Widerspruch ein und beantragte zugleich im Juli 2001 die Anerkennung weiterer Schädigungsfolgen sowie von Pflegezulage. Den Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 15.10.2001 zurück, da durch das Urt...

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