Leitsatz (amtlich)
1. Überweist der in einem Notfall zunächst zugezogene Kassenarzt den Patienten zur weiteren Behandlung an eine Universitäts-Poliklinik, findet für deren Vergütung der mit der zuständigen Kassenärztlichen Vereinigung geschlossene Vertrag über die poliklinische Behandlung aufgrund von Überweisungen und nicht ein etwaiger Vertrag über Notfallbehandlungen Anwendung.
2. Das Recht der freien Arztwahl umfaßt auch die Inanspruchnahme der poliklinischen Einrichtungen von Hochschulen, sofern die hierüber zwischen Kassenärztlicher Vereinigung und Hochschule geschlossenen Verträge keine besondere Einschränkung enthalten.
3. Rechnet eine Kassenärztliche Vereinigung entgegen dem Wortlaut des Vertrags über die Vergütung poliklinischer Behandlungen jahrelang ohne Beanstandung auch Behandlungsfälle, bei denen die ambulante Behandlung ohne einen nach dem Vertrag erforderlichen Überweisungsschein, anstelle einer von einem Kassenarzt verordneten Krankenhauspflege durchgeführt worden ist aufgrund der ihr vorgelegten und von der Hochschule mit dem Vermerk „ambulant” gekennzeichneten Verordnungsblätter ab, kann sie davon ohne Verstoß gegen Treu und Glauben nur abgehen, wenn sie der Hochschule zuvor ausreichend Gelegenheit gegeben hat, sich auf eine entsprechend engere Vertragsauslegung einzustellen.
Normenkette
RVO § 368d Abs. 1, § 368n Abs. 2 Fassung: 1955-08-20; BGB § 242 Fassung 1896-08-18
Verfahrensgang
SG Mainz (Urteil vom 06.09.1978; Aktenzeichen S 2 Ka 33/76) |
Tenor
1. Auf die Berufung der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts Mains vom 6. September 1978 abgeändert, die Bescheide der Beklagten vom 22. Dezember 1975 und 29. März 1976 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11. August 1979 in vollem Umfang auf gehoben und die Beklagte verurteilt, auch die 1337 Behandlungsfälle ohne ausdrückliche Überweisung an die Universitäts-Polikliniken und die 450 Fälle mit ambulanter Behandlung anstelle verordneter Krankenhauspflege aus dem Quartal IV 1975 abzurechnen.
2. Die Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.
3. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
4. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Abrechnungsfähigkeit einer größeren Zahl von Untersuchungen und Behandlungen von Kassenpatienten in den Universitäts-Polikliniken Mainz in den Quartalen III und IV 1975.
Gemäß § 368 n Abs. 2 alter Fassung (jetzt § 368 n Abs. 3) und § 368 d Abs. 1 alter Fassung der, Reichsversicherungsordnung (RVO) wurde zuletzt zwischen den Beteiligten am 21. Juni 1974 ein Vertrag geschlossen, nach dem die ärztlichen Direktoren der Universitäts-Polikliniken Mainz ermächtigt wurden, im Rahmen ihrer Lehr- und Forschungstätigkeit persönlich und durch die ihnen nachgeordneten Ärzte nach Maßgabe der weiteren Vertragsbestimmungen die Untersuchung und Behandlung von Mitgliedern von RVO-Kassen und deren anspruchsberechtigten Familienangehörigen zu übernehmen (§ 1 Abs. 1). Den ermächtigten Klinikdirektoren wurden dabei für ihre Person und für die ihnen nachgeordneten Ärzte die Pflichten auferlegt, die sich für die Mitglieder der Beklagten in Auswirkung der gesetzlichen Bestimmungen, der von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und der Beklagten eingegangenen Verträge und der der Beklagten hiernach obliegenden Gewährleistungspflicht ergeben. Insbesondere sollten die Bestimmungen und Richtlinien über die Verordnung von Arznei- und Heilmitteln, die Verordnung von Krankenhauspflege, die Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit usw. auch für die Behandlung in den Universitätskliniken Anwendung finden (§ 1 Abs. 2). Die oben angegebenen Krankenkassenpatienten waren berechtigt, sich während der Dauer des Vertrags aufgrund einer Überweisung durch einen Kassenarzt in den Sprechstunden der Universitäts-Polikliniken untersuchen und behandeln zu lassen (§ 2). Die Universitätskliniken waren berechtigt, einen ihnen überwiesenen Krankenkassenpatienten nach erfolgter Untersuchung oder Behandlung an den überweisenden Kassenarzt zurückzuüberweisen (§ 3 Abs. 5). Die Beklagte verpflichtet sich, zur Abgeltung der in den Polikliniken ausgeführten Verrichtungen und aller bei der Untersuchung und Behandlung eines Krankenkassenpatienten entstehenden Kosten, einschließlich der Unkosten und Auslagen für Röntgen und sonstige ärztliche Sachleistungen, einen Pauschalbetrag von 25,– DM je Behandlungsfall – höchstens jedoch für 4.000 Behandlungsfälle je Quartal – zu zahlen und außerdem notwendige Laboratoriumsleistungen zu vergüten, die von den Kliniken und Instituten der Klägerin nicht ausgeführt werden konnten und deren Ausführung deshalb auf Veranlassung der ermächtigten Ärzte in fremden Kliniken oder Instituten erfolgte (§ 4). Auf kassenärztliche Verordnung ohne Zusammenhang mit poliklinischer Behandlung in den Universitäts-Polikliniken ausgeführte röntgendiagnostische, elektrocardiographische Leistungen und Laboratoriumsleistungen waren nicht Gegenstand dieses Vertrags (§ 6). Sie wurden gemäß einer besonderen Vereinbarung nach de...