Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialrechtliches Verwaltungsverfahren. Zugunstenverfahren. Anpassungsbescheid. Rücknahmebescheid
Leitsatz (amtlich)
1. Der Regelungszweck des § 44 SGB 10 erfaßt nicht nur Fälle, in denen dem Betroffenen ein rechtlicher Nachteil durch unrechtmäßiges Vorenthalten einer Sozialleistung entstanden ist, sondern auch solche, in denen dem Bürger zwar Sozialleistungen gewährt, nachträglich jedoch von ihm zurückgefordert worden sind. Deshalb kann nach § 44 SGB 10 auch die Zurücknahme eines bestandskräftigen Rücknahme- und Rückforderungsbescheids verlangt werden.
2. Die Anwendung des § 44 SGB 10 auf einen Rücknahmebescheid darf aber nicht dazu führen, daß dem Antragsteller etwas verbleibt, was ihm materiell-rechtlich nicht zusteht. Der Sinn und Zweck des § 44 SGB 10 besteht darin, dem Grundsatz der Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandelns Geltung zu verschaffen und der Verwaltungsbehörde zur Herstellung materieller Gerechtigkeit die Möglichkeit zu eröffnen, Fehler, die im Zusammenhang mit dem Erlaß eines Verwaltungsaktes unterlaufen sind, zu berichtigen. Dessen Aufhebung soll danach nur dann in Betracht kommen, wenn sich bei der erneuten Überprüfung der Sach- und Rechtslage ergibt, daß die Behörde zu Ungunsten des Antragstellers falsch gehandelt hat.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Rückforderung von Versorgungsbezügen.
Die Kläger sind die Erben der 1920 geborenen und am 21.01.1995 verstorbenen Frau E M (M.), als deren Sonderrechtsnachfolger sie den Rechtsstreit fortsetzen. Die Verstorbene war die Witwe des 1944 als Wehrmachtsangehöriger gefallenen O M. Sie bezog zunächst bis 1963 Versorgungsbezüge nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG). Nach dem Tod ihres zweiten Ehemannes im Dezember 1974 erhielt M. von der Firma A GmbH ab Januar 1975 eine betriebliche Witwenrente. Auf ihren Antrag vom April 1975 gewährte der Beklagte der M. mit Bescheid vom 21.08.1975 Rente, Ausgleichsrente und Schadensausgleich. In dem hierzu abgegebenen Einkommens- Fragebogen vom 10.06.1975 hatte M. die Frage, ob ihr "Leistungen, die mit Rücksicht auf ein früheres Dienst- oder Arbeitsverhältnis gewährt würden", mit "entfällt" beantwortet.
In den seit 1977 übersandten Einkommens-Fragebögen wurde die Frage nach Leistungen aus einem früheren Dienst- oder Arbeitsverhältnis, zum Beispiel Werksrenten, Zusatzrenten, usw. nicht oder mit "nein" beantwortet. Der zuständige Sachbearbeiter verfügte daraufhin, daß sich nichts geändert habe bzw. nichts zu veranlassen sei. Dementsprechend erfolgte auch keine Anrechnung der Betriebsrente.
Erstmals im Fragebogen vom 25.01.1990 gab die Verstorbene an, daß ihr eine "Unterstützung" der Firma A gewährt werde. Die Firma A teilte mit, ab 01.01.1975 habe M. eine monatliche Witwenrente in Höhe von 174 DM und ab 01.01.1985 von 195 DM erhalten.
Nach Anhörung nahm das Versorgungsamt Landau mit Bescheid vom 30.11.1990 die seit 1981 erteilten Bescheide teilweise zurück, rechnete die von der Firma A gewährte Werksrente auf die Witwenrente nach dem BVG an und forderte einen danach überzahlten Betrag von 28.485 DM von der Verstorbenen zurück. Der Widerspruch und das hiergegen durchgeführte Klageverfahren blieben erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 03.06.1991 und Urteil des Sozialgerichts Speyer vom 03.07.1992, Az.: S 12 V 74/91). Im Berufungsverfahren gab die Verstorbene an, sie habe schon im Jahr 1975 unter Parkinsonscher Erkrankung gelitten. Dadurch hätten ihre geistigen Fähigkeiten nachgelassen, und sei nicht mehr in der Lage gewesen, die ihr vom Beklagten zugesandten Unterlagen zu verstehen und die gestellten Fragen richtig zu beantworten. Das Berufungsverfahren endete mit einem Vergleich, in dem sich der Beklagte verpflichtete, die Verstorbene nach § 44 Sozialgesetzbuch -Zehntes Buch- neu zu bescheiden.
Im daraufhin erneut durchgeführten Verwaltungsverfahren holte das Versorgungsamt Befundberichte bei den Ärzten ein, welche M. behandelt hatten, und zog verschiedene Krankenhausberichte bei. Der Internist Dr. Sch führte in einer versorgungsärztlichen Stellungnahme aus, die beigezogenen Unterlagen enthielten keine Hinweise darauf, daß M. nicht in der Lage gewesen sei, seit 1976 die Einkommensfragebögen ordnungsgemäß zu beantworten.
Hierauf gestützt lehnte das Versorgungsamt den Zugunstenantrag der M. mit Bescheid vom 25.05.1994 ab und hielt an der Bindungswirkung seines Bescheids vom 30.11.1990 fest. Den Widerspruch wies der Beklagte im Widerspruchsbescheid vom 21.09.1994 zurück. Zur Begründung wurde ausgeführt, nach den aktenkundigen Befundunterlagen sei der Gesundheitszustand M.s in den siebziger und achtziger Jahren nicht derart gravierend gewesen, daß sie außerstande gewesen sei, als vernünftig denkender Mensch am Rechtsverkehr teilzunehmen und die Einkommensfragebögen des Versorgungsamtes ordnungsgemäß auszufüllen.
Während des Klageverfahren vor dem Sozialgericht Speyer ist M. am 21.01.1995 verstorben. Die Kläger haben den Rechtsstreit als ihre Rechtsnachfolger fortgesetzt.
Das Sozialge...