Entscheidungsstichwort (Thema)

Zeitrente bei verschlossenem Teilzeitarbeitsmarkt

 

Orientierungssatz

Bei der Regelung des § 72 Abs 1 S 2 RKG nach der die Rente auf Zeit zu leisten ist, wenn die Berufsunfähigkeit oder die Erwerbsunfähigkeit nicht ausschließlich auf dem Gesundheitszustand des Berechtigten beruht, hat der Gesetzgeber nicht auf den zeitlichen Umfang der noch vorhandenen Leistungsfähigkeit abgestellt. Das bedeutet, daß auch bei einem nur noch unterhalbschichtigen Leistungsvermögen lediglich eine Zeitrente zulässig ist.

 

Verfahrensgang

SG Koblenz (Urteil vom 05.07.1989; Aktenzeichen S 5 Kn 56/88)

 

Tenor

1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 5.7.1989 aufgehoben.

Die Klage wird abgewiesen.

2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Auslegung und Anwendung des § 72 Abs. 1 Satz 2 RKG, wonach Rente auf Zeit zu leisten ist, wenn die Berufsunfähigkeit oder Erwerbsunfähigkeit nicht ausschließlich auf dem Gesundheitszustand des Versicherten beruht.

Der 1936 geborene türkische Kläger war seit 1972 in der Bundesrepublik versicherungspflichtig beschäftigt. Auf seinen Rentenantrag vom Dezember 1987 bewilligte die Beklagte ihm durch Bescheid vom 14.6.1988 eine Zeitrente wegen Erwerbsunfähigkeit vom 24.3.1988 bis zum 31.5.1991. Die Ärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. Sch. in B. nahm an, der Kläger sei nur noch für maximal vier Stunden täglich arbeitsfähig. Frau Dr. B. vom Sozialmedizinischen Dienst der Beklagten bestätigte eine bis unterhalbschichtige Erwerbsfähigkeit des Klägers. In seinem Widerspruch stützte der Kläger sich auf diese Einschätzung der Erwerbsfähigkeit und meinte, bei dem so weitgehend reduzierten Leistungsvermögen stehe ihm die Dauerrente zu.

Durch Urteil vom 5.7.1989 hat das Sozialgericht Koblenz der Klage stattgegeben. Nach seinem Gesundheitszustand könne der Kläger zwar noch mehr als nur geringfügige Einkünfte i.S.d. § 47 Abs. 2 RKG verdienen. Zu beachten sei aber, daß diesen Versicherten kein Teilzeitarbeitsmarkt zugeordnet werden könne, weil die Arbeitsverwaltung nur mehr als kurzzeitige – also im Prinzip keine unterhalbschichtigen – Beschäftigungen erfasse.

Gegen das am 14.7.1989 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 31.7.1989 die Berufung eingelegt.

Sie ist der Ansicht, der für den Kläger verschlossene Teilzeitarbeitsmarkt rechtfertige nicht die Bewilligung einer Dauerrente. Nach dem Arbeitsförderungsgesetz liege eine Verfügbarkeit für die Arbeitsvermittlung vor, wenn der Arbeitslose noch in der Lage sei, eine Beschäftigung von mindestens 18 Stunden wöchentlich auszuüben. Das treffe auf den Kläger zu.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 5.7.1989 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen weiterer Einzelheiten des Tatbestands wird auf den Inhalt der Prozeßakte und der Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe

Die zulässige, nicht durch § 146 SGG ausgeschlossene Berufung der Beklagten ist begründet.

Daß die Beklagte dem Kläger nur eine Zeitrente bewilligt hat, ist nicht zu beanstanden. Der Senat vermag sich der Meinung des Sozialgerichts, die Zeitrentenregelung in § 72 Abs. 1 Satz 2 RKG sei bei einem unterhalbschichtigen Leistungsvermögen nicht anzuwenden, nicht anzuschließen. Diese Auffassung wird – soweit ersichtlich – offenbar nur in den Kommentaren von Eicher/Haase/Rauschenbach (Anm 3 zu § 1276 RVO) und von Koch/Hartmann (Anm B III zu § 53 AVG) vertreten, indem es dort ohne weitere Begründung heißt, Zeitrenten wegen eines verschlossenen Teilzeitarbeitsmarktes seien zu gewähren, sofern der Versicherte noch halbschichtig bis untervollschichtig arbeitsfähig sei. Diese Einschränkung findet sich dagegen in den Kommentaren von Miesbach/Busl (zu § 72 RKG) und von Etmer/Schulz (zu § 1276 RVO) und auch in dem vom Sozialgericht zitierten Verbandskommentar dagegen nicht. Die Ausführungen im letzteren Kommentar (Anm. 8 zu § 1276 RVO) hat das Sozialgericht wohl mißverstanden. Danach ist in Fällen, in denen der Versicherte im Haupt- oder Verweisungsberuf unterhalbschichtig arbeitsfähig, auf dem allgemeinen Arbeitsfeld jedoch noch halbschichtig bis untervollschichtig tätig sein dann, eine Dauerrente wegen Berufsunfähigkeit und eine Zeitrente wegen Erwerbsunfähigkeit zu gewähren. Bei dieser Fallgestaltung folgt die Dauerrente unmittelbar aus der Vorschrift über die Berufsunfähigkeitsrente, weil bei einem nur noch unterhalbstchichtigen Leistungsvermögen die Erwerbsfähigkeit auf weniger als die Hälfte derjenigen eines gesunden Versicherten herabgesunken ist (§ 1246 Abs. 2 Nr. 1 RVO und die gleichlautenden Regelungen in der Angestelltenversicherung und in der knappschaftlichen Rentenversicherung). Daß dann bei demselben Versicherten, der auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch halbschichtig bis untervollschichtig erwerbstätig sein kann, nur eine Zeitrente wegen Erwerbsunfähigkeit in Betracht kommt, ist nach § 1276 Abs....

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