Entscheidungsstichwort (Thema)
Zeitrente wegen eines verschlossenen Teilzeitarbeitsmarktes
Orientierungssatz
Angesichts der eindeutigen Regelung des § 72 Abs 1 S 2 RKG ist eine Dauerrente nicht zu gewähren, wenn der Versicherte nur noch zwei Stunden täglich arbeiten und mehr als geringfügige Einkünfte erzielen kann. Auch in diesem Fall beruht die Erwerbsunfähigkeit nicht ausschließlich auf dem Gesundheitszustand des Versicherten, sondern auch auf den Gegebenheiten des Arbeitsmarktes. Eine Differenzierung dahingehend, ob der (Teilzeit-)Arbeitsmarkt verschlossen ist oder nicht vorhanden ist, sieht § 72 Abs 1 S 2 RKG nicht vor.
Verfahrensgang
SG Koblenz (Urteil vom 27.09.1989; Aktenzeichen S 5 Kn 6/89) |
Tenor
1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 27.9.1989 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
2. Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte verpflichtet ist Rente wegen Erwerbsunfähigkeit auf Dauer zu gewähren.
Der 1935 geborene Kläger war von 1948 bis 1968 im wesentlichen als Landarbeiter, Bauarbeiter und Mühlenarbeiter beschäftigt. Anschließend war er bei der Firma K. Stahl AG tätig, zuletzt als erster Maschinenarbeiter. Eine selbständige Tätigkeit beendete er zum 19.6.1987.
Die am 15.8.1986 beantragte Knappschaftsrente wegen Erwerbsunfähigkeit lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 16.2.1987 ab. Sie stützte sich auf ein Gutachten des Arztes für Allgemeinmedizin Schauerte vom 3.12.1986, der den Kläger unter Berücksichtigung von Erkrankungen im Bereich der Lendenwirbelsäule noch für in der Lage hielt, körperlich leichte Tätigkeiten in wechselnden Körperhaltungen vollschichtig zu verrichten.
Nachdem der Internist Dr. B. vom 1.10.1986 bis zum 30.9.1987 eine komplette Arbeitseinsatzunfähigkeit des Klägers wegen einer aktiven Lungentuberkulose festgestellt hatte (Gutachten vom 6.1.1988) und der Chirurg Dr. M. wegen der Erkrankungen der Wirbelsäule und am linken Arm ab dem 1.10.1987 nur noch eine Arbeit von täglich nicht länger als zwei Stunden für zumutbar hielt (Gutachten vom 10.5.1988 und ergänzende Stellungnahme vom 10.6.1988) änderte die Widerspruchsstelle der Beklagten den angefochtenen Bescheid mit Widerspruchsbescheid vom 19.12.1988 ab. Sie erkannte Berufsunfähigkeit auf Dauer ab dem 1.10.1986 und Erwerbsunfähigkeit vom 19.6.1987 bis zum 30.11.1991 an. Mit Bescheid vom 27.1.1989 bewilligte die Beklagte Knappschaftsrente wegen Berufsunfähigkeit nach Aufgabe der knappschaftlich versicherungspflichtigen Beschäftigung ab dem 1.11.1986, mit Bescheid vom 21.2.1989 Knappschaftsrente wegen Erwerbsunfähigkeit vom 19.12.1987 bis zum 30.11.1991.
Auf die Klage vom 18.1.1989 hat das Sozialgericht Koblenz durch Urteil vom 27.9.1989 die Beklagte verurteilt, Rente wegen Erwerbsunfähigkeit auf Dauer ab dem 19.12.1987 zu gewähren. Es hat im wesentlichen ausgeführt, der Kläger könne nach dem Gutachten von Dr. M. noch leichte körperliche Arbeiten nicht länger als zwei Stunden täglich verrichten und damit einer regelmäßigen Erwerbstätigkeit nachgehen sowie mehr als geringfügige Einkünfte erzielen. Erwerbsunfähigkeit sei deshalb nur gegeben, weil der Kläger keinen dem Leistungsvermögen entsprechenden Teilzeitarbeitsplatz innehabe. Die Erwerbsunfähigkeit beruhe zwar nicht ausschließlich auf dem Gesundheitszustand, sondern auf der derzeitigen Arbeitsmarktsituation. § 72 Abs. 1 Satz 2 Reichsknappschaftsgesetz (RKG) finde jedoch keine Anwendung, wenn der Versicherte nur noch über ein zweistündiges bis unterhalbschichtiges Leistungsvermögen verfüge. Ihm könne ein Teilzeitarbeitsmarkt nicht zugeordnet werden, weil die Arbeitsverwaltung nur mehr als kurzzeitige Beschäftigungen erfasse. Dies rechtfertige es Rente wegen Erwerbsunfähigkeit auf Dauer zu gewähren.
Gegen das am 6.10.1989 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 13.10.1989 Berufung eingelegt.
Sie trägt vor, § 72 Abs. 1 Satz 2 RKG bestimme, daß Rente wegen Berufsunfähigkeit/Erwerbsunfähigkeit immer nur auf Zeit zu gewähren sei, wenn Berufsunfähigkeit/Erwerbsunfähigkeit nicht ausschließlich auf dem Gesundheitszustand des Versicherten beruhe. Diese zwingende Regelung finde nur dann keine Anwendung, wenn der Versicherte innerhalb von zwei Jahren nach Rentenbeginn des 60. Lebensjahr vollende. Der Kläger werde erst 1995 60 Jahre alt, weshalb die Voraussetzungen der Ausnahmeregelung nicht erfüllt seien.
Die Beklagte beantragt.
das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 27.9.1989 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er trägt vor, es sei unstreitig, daß er nur noch höchstens zwei Stunden täglich leichte Arbeiten verrichten könne. Seine gesundheitlichen Einschränkungen seien damit so weitgehend, daß ganz unabhängig von der wechselnden Arbeitsmarktlage keine Vermittlung mehr erfolgen könne. Das Arbeitsamt vermittle mangels Verfügbarkeit unterhalbschichtige Tätigkeiten nicht. Dies stelle eine Wertung des Gesetzgebers dar, na...