Verfahrensgang

SG Mainz (Urteil vom 26.04.1978; Aktenzeichen S 7 Ar 11/78)

 

Tenor

1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Mainz vom 26. April 1978 abgeändert.

Die Klage wird abgewiesen.

2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

3. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Mit der zugelassenen Berufung wendet sich die Beklagte gegen einen Anspruch der Klägerin auf höheres Arbeitslosengeld (Alg) von 1. April bis 31. August 1977. Streitig ist nur, welche Leistungsgruppe gemäß §§ 111, 113 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) zugrunde zu legen ist.

Die 1936 geborene Klägerin war vor Beginn ihrer Arbeitslosigkeit bis 31. März 1977 bei den …-Reifen-Werken in Bad K. als Sekretärin versicherungspflichtig beschäftigt. Am 1. April 1977 meldete sie sich beim Arbeitsamt Bad Kreusnach arbeitslos und beantragte Alg. Ihr Ehemann stand und steht nach wie vor in einer Vollzeitbeschäftigung. Zu Beginn des Kalenderjahres 1977 waren auf der Lohnsteuerkarte der Klägerin Steuerklasse V, auf der ihres Ehemanns Steuerklasse III eingetragen. Die noch von der früheren Wohnsitzgemeinde S. ausgestellten Lohnsteuerkarten wurden den Eheleuten erst mit Schreiben vom 26. Januar 1977 auf Anforderung nach Bad K. nachgesandt. Am 2. Februar 1977 wurde der Klägerin zum 31. März 1977 gekündigt. Am 11. Februar 1977 trug das Steueramt der Stadt Bad Kreuznach auf Antrag beider Eheleute vom gleichen Tag mit Wirkung vom 1. März 1977 in beiden Steuerkarten Steuerklasse IV ein.

Mit Bescheid vom 25. Mai 1977 und Widerspruchsbescheid vom 6. Juli 1977 bewilligte das Arbeitsamt der Klägerin Alg lediglich nach der Leistungsgruppe D (Steuerklasse V).

Mit der Klage hat die Klägerin geltend gemacht, ihr stehe Alg nach der Leistungsgruppe A (Lohnsteuerklasse IV) zu. Da sie die Verspätung der Umschreibung nicht zu vertreten habe, sei die bei Beginn der Arbeitslosigkeit eingetragene Steuerklasse als Bemessungsgrundlage heranzuziehen.

Das Sozialgericht Mainz hat mit Urteil vom 26. April 1978 den Bescheid des Arbeitsamts vom „7. Juni 1977” in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 6. Juli 1977 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, der Klägerin Alg nach der Leistungsgruppe A zu gewähren. In den Entscheidungsgründen heißt es im wesentlichen, über die im Gesetz festgelegten Fälle hinaus seien auch weitere Fälle eines Steuerklassenwechsels zwischen Ehegatten denkbar und zu berücksichtigen, ohne daß dadurch der Gesetzeszweck verletzt werde. § 113 Abs. 2 Satz 1 AFG enthalte keine abschließende Regelung und sei extensiv auszulegen. Mit der Einschränkung der leistungsrechtlichen Folgen des Steuerklassenwechsels zwischen Ehegatten habe der Gesetzgeber nur Manipulationen der Höhe des Alg durch Wechsel der Lohnsteuerklasse vereiteln wollen. Dieser Intention entsprechend finde die Norm auf alle Fälle Anwendung, bei denen schon wegen der zeitlichen Lage bei einem Steuerklassenwechsel eine Manipulation zu Lasten der Versicherten-Gemeinschaft nicht möglich sei.

Gegen dieses der Beklagten am 23. Juni 1978 zugestellte Urteil richtet sich ihre Berufung vom 21. Juli 1978. Sie ist nach wie vor der Auffassung, ein Steuerklassenwechsel zwischen Ehegatten sei leistungsrechtlich ausschließlich unter den engen Voraussetzungen des § 113 Abs. 2 AFG erheblich. Schon nach dem Wortlaut des Gesetzes handele es sich um eine abschließende Regelung. Eine extensive Auslegung sei nicht zulässig. Zwar sei der Gesetzesinhalt am Sinn und Zweck der Norm zu messen und damit gegebenenfalls auch eine über den Wortlaut hinausgehende Auslegung geboten. Doch seien im vorliegenden Fall Wortfassung, Zweck und Inhalt identisch. Die in § 113 Abs. 2 AFG getroffene abschließende Regelung sei auch zulässig, denn durch zusätzliche – auf den Einzelfall abgestellte – Überlegungen steuerrechtlicher Art und Berücksichtigung von Verschuldensgesichtspunkten werde eine zügige Bearbeitung der Leistungsanträge in Frage gestellt.

Die Beklagte beantragt,

das angefochtene Urteil abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen,

hilfsweise,

die Revision zuzulassen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und meint, § 113 Abs. 1 AFG sei grundsätzlich zu entnehmen, daß dem arbeitslos gewordenen Arbeitnehmer nicht noch zusätzliche Nachteile dadurch entstehen sollten, daß – aus welchen Gründen immer – im Verlauf des Jahres, also vor Eintritt seiner Arbeitslosigkeit, eine Änderung der Steuerklasse eingetreten sei. Darüber hinaus verstoße § 113 Abs. 2 AFG bei enger Auslegung gegen Artikel 6 Grundgesetz (GG). Familienmitglieder dürften nicht schlechter gestellt werden als alleinstehende arbeitslose Arbeitnehmer. Ein Steuerklassenwechsel von Ehegatten dürfe nur dann unbeachtet bleiben, wenn tatsächlich Manipulationen zwischen den Eheleuten zum Zweck der Erlangung höheren Alg nachgewiesen seien. In ihrem Fall sei der Steuerklassenwechsel bereits Ende 1976 aus steuerlichen Gründen geplant gewesen und habe aber wegen der verspäteten Aushändigung der Steue...

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