Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesetzliche Unfallversicherung. Wegeunfall. Unfallbegriff. Abgrenzung: äußeres Ereignis von einem willensgesteuerten Ereignis. Unfallkausalität. Gelegenheitsursache. haftungsbegründende Kausalität. zweistufige Prüfung
Leitsatz (amtlich)
1. Bei der Abgrenzung eines von außen auf den Körper einwirkenden Ereignisses im Sinne des
§ 8 Abs 1 S 2 SGB 7 von einem (nicht versicherten) willensgesteuerten Ereignis ist die Handlungstendenz des Versicherten maßgeblich. Treten durch willensgesteuerte Handlungen unbeabsichtigte Folgen auf (etwa ein Wirbelbruch bei dem Versuch ein auf der Seite liegendes Motorrad aufzuheben), kann ein von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis (etwa in Form der Krafteinwirkung beim Anheben eines schweren Gegenstands) vorliegen.
2. Das Kriterium der Einwirkung von außen dient der Abgrenzung zu Gesundheitsschäden aufgrund von inneren Ursachen, wie Herzinfarkt, Kreislaufkollaps usw, die während der versicherten Tätigkeit auftreten, sowie zu vorsätzlichen Selbstschädigungen (vgl BSG vom 12.4.2005 - B 2 U 27/04 R = SozR 4-2700 § 8 Nr 15 RdNr 12 = BSGE 94, 269 mwN; vgl BSG vom 29.11.2011 - B 2 U 23/10 R - juris RdNr 14ff; vgl BSG vom 29.11.2011 - B 2 U 10/11 R = SozR 4-2700 § 8 Nr 42 RdNr 16).
3. Für die Beurteilung der Kausalität zwischen einem Unfallereignis und einem Gesundheitsschaden hat zunächst die Feststellung zu erfolgen, welche (unfallbedingten und unfallfremden) Wirkursachen den Gesundheitsschaden im Sinne einer "conditio qua non" verursacht haben. Sodann ist unter Berücksichtigung des Schutzzwecks des Versicherungstatbestands und der Auffassung des praktischen Lebens wertend zu entscheiden, welcher der zuvor festgestellten Wirkursachen der eingetretene Schaden wesentlich zuzurechnen ist (vgl BSG vom 13.11.2012 - B 2 U 19/11 R = SozR 4-2700 § 8 Nr 46, Rn 31ff mwN; vgl BSG vom 24.7.2012 - B 2 U 9/11 R = SozR 4-2700 § 8 Nr 44; vgl BSG vom 17.2.2009 - B 2 U 18/07 R = SozR 4-2700 § 8 Nr 31 Rn 12 mwN).
Normenkette
SGB VII § 8 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 Nrn. 3-4, § 26
Tenor
1. Auf die Berufung des Klägers wird unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Mainz vom 9.7.2013 der Bescheid der Beklagten vom 24.2.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 2.9.2010 aufgehoben und festgestellt, dass die Fraktur des 5. Lendenwirbelkörpers Folge eines in der gesetzlichen Unfallversicherung versicherten Arbeitsunfalls vom 30.6.2009 ist.
2. Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten in beiden Rechtszügen zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger am 30.6.2009 bei dem Versuch, sein auf der Seite liegendes Motorrad aufzuheben, einen versicherten Arbeitsunfall erlitten und deswegen Anspruch auf Entschädigungsleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung hat.
Der 1963 geborene Kläger ist als Journalist beim Z beschäftigt. Am 30.6.2009 befand er sich mit seinem Motorrad (BMW R 1200 GS - Modell 2008) auf dem Weg zu seiner Arbeitsstelle. Nachdem er von der Autobahn abgefahren war, um einen Verkehrsstau zu umgehen, wollte er kurz anhalten um dem Büro - im Hinblick auf einen vereinbarten Termin - seine voraussichtliche Verspätung telefonisch anzukündigen. Er bog dazu von der Landstraße in die Einfahrt zu einem Forstamt ein. Während des Anhaltens geriet das Motorrad auf dem Schotter-Untergrund ins Rutschen und kippte nach rechts weg. Weil er es nicht mehr halten konnte, legte er es kontrolliert zur Seite ab. Anschließend versuchte er das auf der Seite liegende - nach Herstellerangaben 229 kg zuzüglich zwei Seitenkoffern von insgesamt 15 kg schwere - Motorrad mit einer ruckartigen Bewegung wieder aufzurichten, was ihm aber nicht gelang. Bei dem Anhebeversuch verspürte er einen akuten Schmerz im Rücken, der sich nach seinen Angaben wie ein Schlag mit einem Gummihammer anfühlte, und legte sich daraufhin auf die Seite ab. Er wurde dort von einem vorbeikommenden Forstamtsmitarbeiter aufgefunden, der einen Rettungswagen rief, mit dem der Kläger in die Uniklinik M gebracht wurde. Der dortige D-Arzt Prof. Dr. R diagnostizierte in seinem D-Arzt-Bericht vom 30.6.2009 eine "LWK-5-Fraktur", die in der Folge operativ versorgt wurde. Der Kläger war wegen dieser Verletzung bis zum 7.9.2009 arbeitsunfähig.
Mit Bescheid vom 24.2.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 2.9.2010 lehnte die Beklagte die Gewährung von Entschädigungsleistungen aus Anlass des Ereignisses vom 30.6.2009 ab, da kein Arbeitsunfall vorliege, sondern das Ereignis lediglich eine Gelegenheitsursache für die eingetretene LWK-5-Fraktur sei. Die Beklagte stützte sich hierbei auf ein orthopädisches Gutachten von Dr. M vom 2.2.2010. Der Gutachter hatte einen Zustand nach dorsaler Spondylodese von L4 auf S1 bei LWK-5-Kompressionsfraktur mit keilförmiger Deformierung sowie eine Osteoporose diagnostiziert. Es sei davon auszugehen, dass der Kläger mit einer erhöhten Knochenbruchgefährdung bei vorbestehender Osteoporose in das angeschuldigte Ereignis hineingegangen sei. Es müsse davon ausge...